Süddeutsche
Zeitung, 18.9.2010
Otto Fritscher
Schach
Dichter und Denker am Brett
Sogar
ein Nobelpreisträger gehörte dem Starnberger Schachclub an, der 90 Jahre alt
wird
Starnberg – Er war
nicht nur ein Dichter und Schriftsteller, sondern offenbar auch ein
ausgezeichneter analytischer Denker: Gustav Meyrink, dessen "Golem"
als ein Klassiker der phantastischen Literatur gilt, war in den zwanziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts der erste Clubmeister und beherrschender
Spieler des soeben frisch gegründeten Starnberger Schachclubs . Am 1. September
1920 war der Verein von 11 Starnberger Schachfreunden ins Leben gerufen worden.
Am heutigen Samstag feiert der Verein im Kreisklinikum, das seit einigen Jahren
als Spiellokal dient, sein 90-jähriges Bestehen. Natürlich mit einer Lesung aus
dem "Golem", und einem Festprogramm, bei dem der Münchner
Grossmeister und SZ-Kolumnist Stefan Kindermann einen Vortrag über die
Kulturgeschichte des Schach hält.
Es waren drei Starnberger
Volksschullehrer, Benedikt Dempf, Kurt Miedaner und Friedrich Mörtl, die am 1.
September 1920 die Vorstandschaft des soeben neu gegründeten Starnberger
Schachclubs bildeten. Elf Männer hatten den Verein im Cafe Groll aus der Taufe
gehoben, denn schon damals waren Frauen im Schachsport eine Seltenheit - bis
heute hat sich daran nicht viel geändert.
Mitte der zwanziger Jahre lief der
Turnierbetrieb bereits auf vollen Touren. 36 Spieler, ähnlich viele wie heute,
beteiligten sich an der Clubmeisterschaft. Jeder Spieler, der das Turnier
durchspielte, "brachte einen Strohpreis mit", heisst es in der
Chronik des Vereins. Bei der Siegerehrung sorgte eine Kapelle für Stimmung, bis
weit in den nächsten Tag hinein". Das Auspacken der Preise und die damit
verbundenen Überraschungen erhöhten die Stimmung beträchtlich. "Entgegen
den sonstigen Gepflogenheiten der Schachspieler wurde oft und manchmal auch zu
tief ins Glas geschaut. Insbesondere der neue Clubmeister Fries hatte das getan",
heisst es weiter in der Chronik. Das ist insofern erwähnenswert, als der Verein
nahezu in jeder Starnberger Gaststätte sein Vereinsdomizil hatte-solange, bis
er es wieder verlassen musste, weil viele Schachspieler als spröde gelten und
den ganzen Abend bei einem Glas Wasser über ihrer Partie brüten, was den Umsatz
wenig fördert und den Wirt wenig erfreut. "Schachspieler sitzen lange und
verzehren wenig" heisst es dazu schon in der Chronik des Jahres 1931, als
wieder mal ein Umzug anstand. Im selben Jahr starb Gustav Meyrink, der
"als Spieler im Club auf einsamer Höhe stand". 1927 und 1933 fanden
grosse Simultanveranstaltungen in Starnberg statt. Dabei spielte der
ukrainisch-deutsche Grossmeister Efim Bogoljubow gegen mehrere Dutzend Gegner
gleichzeitig - die Bilanz der Simultanveranstaltung aus dem Jahre 1933: 26
Siege und 4 remis für den Grossmeister, der nur eine Niederlage kassierte.
Nach dem anstrengenden Kampf wollte
Bogoljubow noch eine Skatpartie spielen. "Seine Starnberger Partner nahmen
ihm dabei einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Honorars wieder ab",
berichtet die Chronik. In den vierziger Jahren hatte der Verein ein weiteres
prominentes Mitglied: Heinrich Wieland, der 1927 den Nobelpreis für Chemie
erhalten hatte. Während des Kriegs ruhte der Spielbetrieb, bis der Verein
Anfang der fünfziger Jahre wieder aufblühte. Einer der Höhepunkte war 1982
erneut ein grosses Simultanturnier mit dem Vizeweltmeister Viktor "der
Schreckliche" Kortschnoij, der 33 von 40 Partien für sich entschied, dreimal
Unentschieden gab und nur viermal die Waffen strecken musste.
Von 1996 bis 2000 war der Verein eine
Sparte des TSV 1880 Starnberg geworden, was sich auf Dauer nicht bewährte. Es
folgte der Rückweg in die Selbständigkeit. Aktuell hat der Verein rund 100
Mitglieder. Und er will für Nachwuchs sorgen, in dem er in drei Starnberger
Kindergärten den Kindern die Grundbegriffe des Spiels lehrt.
Zu den Gratulanten gehören am heutigen
Samstag auch Landrat Karl Roth und Starnbergs dritter Bürgermeister Winfried
Wobbe. Neben diversen Siegerehrungen stehen Auftritte der Starnberger
Musikschule mit Duetten von Mauro Giuliani auf dem Geburtstagsprogramm.