Gründung und Wachstum in schwierigen Zeiten
Inhalt
Dr. Emanuel Lasker, der bislang einzige deutsche Schachweltmeister, sagte einmal: „Schach ist vor allem ein Kampf!“ Er hätte genauso sagen können, dass auch der Aufbau und die Erhaltung eines Schachklubs einen konstanten Kampf darstellen – besonders wenn dieser im Nachgang einer der erbittertsten Kämpfe der Geschichte, dem 1. Weltkrieg (1914-1918), gegründet wird. Lasker selbst war noch Weltmeister – er sollte seinen Titel im kommenden Jahr an den Kubaner Jose Raul Capablanca verlieren – als sich am 01.09.1920 im Starnberger Café Groll elf leidenschaftliche Schachspieler zur Gründung des ersten Schachvereins in der Stadt einfanden. Eine „Organisation zur Pflege und Förderung des Schachspiels“ wollten sie schaffen, eine über 100 Jahre alte Starnberger Institution sollte es werden.
Fünf Beamte, drei Volksschullehrer, zwei Gewerbetreibende und ein Jugendlicher – die elf Gründungsväter des Schachklubs Starnberg stellten einen bunten Mix der Gesellschaft dar. Im ersten Vereinsvorstand waren die drei Pädagogen aber unter sich. Zum 1. Vorsitzenden wurde Kurt Miedaner gewählt, Friedrich Mörtl übernahm das Amt des Kassenwarts während Benedikt Dempf als Schachwart firmierte.
Erster Vereinsvorstand (gewählt am 1.09.1920):
- Kurt Miedaner (1. Vorsitzender)
- Friedrich Mörtl (Kassenwart)
- Benedikt Dempf (Schachwart)
Die Gründungsurkunde des am 01.09.1920 im Café Groll aus der Taufe gehobenen „Schachklub Starnberg“ mit den Unterschriften der drei Vorstandsmitglieder und der weiteren acht Gründungsmitglieder (Bildquelle: Archiv SK Starnberg).
Noch in der Gründungssitzung wurde die erste Vereinssatzung beschlossen, die erste Geschäftsordnung folgte wenig später. Neben dem wöchentlichen Clubabend, der immer mittwochs im Starnberger „Café Groll“ stattfinden sollte, vereinbarte man monatliche Mitgliederversammlungen. Hier sollten die nächsten Schritte des jungen Vereins abgestimmt werden. Dazu zählte neben dem Anschluss an den Bayerischen Schachbund vor allem die Anschaffung von Spielmaterial und die Erstellung eines Spielplans für die Premierensaison 1920/21. Zentrales Ereignis war dabei die Veranstaltung des ersten Klubturniers, das von Januar bis Juni 2021 terminiert war. Hierfür wurde eine Spielordnung verabschiedet und ein Spielausschuss bestimmt. Diesem gehörten neben dem Vorsitzenden Miedaner das Gründungsmitglied Christian Gerstetter und Herr Vonwerden an.
Turbulentes Premieren-Klubturnier: 24 Teilnehmer, Lokalwechsel & prominenter erster Sieger
Die erste Starnberger Klubmeisterschaft startete am 12.01.1921 mit stolzen 24 Teilnehmern. Diese traten zunächst doppelrundig in drei Gruppen gegeneinander an. Danach spielten die jeweils drei besten Spieler einer Gruppe den Klubmeister aus. Für die Partien kamen zum Teil private Schachgarnituren der Teilnehmer zum Einsatz, falls die Spielsätze des Klubs nicht ausreichten.
Ein Problem stellte allerdings die Raumfrage dar: Da das Café Groll mit der hohen Teilnehmerzahl schnell an seine physischen Grenzen stieß, beschloss die Mitgliederversammlung des Schachklubs am 26.01.1921, in das Fischer-Stüberl im Starnberger Hotel „Bayerischer Hof“ umzuziehen. Der Raum bot den Turnierteilnehmern wesentlich mehr Platz, so dass die Meisterschaft ohne Einschränkungen zu Ende gespielt werden konnte.
Die Tabellen der Vorrunden der ersten Starnberger Vereinsmeisterschaft: die drei bestplatzierten Spieler einer Gruppe qualifizierten sich für die Endrunde (Bildquelle: Archiv SK Starnberg / Handschriftliche Aufzeichnungen von Christian Gerstetter).
Den Sieg im Endrundenturnier errang der österreichische Schriftsteller Gustav Meyrink vor den punktgleichen Christian Gerstetter und Fritz Geißelbrecht. Meyrink wurde damit der erste Starnberger Klubmeister. Er behielt seinen Titel auch in der folgenden Saison, da die nächste Klubmeisterschaft ohne Sieger abgebrochen wurde. Die 24 Teilnehmer des Wettbewerbs mussten seltsamer Weise im Modus „Jeder-gegen-Jeden“ antreten, so dass trotz einer Turnierdauer von mehr als einem halben Jahr nicht alle Partien ausgetragen werden konnten.
Es ist nicht bekannt, ob Gustav Meyrink in der Endrunde der Vereinsmeisterschaft. – ebenso wie in der Vorrunde – alle Partien gewann. Zweifelsfrei gewann er aber das Turnier und wurde Starnbergs erster Klubmeister.
(Bildquelle: Archiv SK Starnberg / Handschriftliche Aufzeichnungen von Christian Gerstetter).
Meyrink machte sich jedoch nicht nur dank seiner Schachkunst einen Namen. Er war auch ein international sehr angesehener Autor der phantastischen Literatur. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Der Golem“ (erschien im Jahr 1913), „Das Grüne Gesicht“ und „Walpurgisnacht“ (jeweils 1917). In Wien-Liesing ist die Meyrinkgasse, in München die Gustav-Meyrink-Straße nach ihm benannt. Den Vereinsmitgliedern prägte er sich aber besonders durch seine Vorträge an einem clubeigenen Demonstrationsbrett ins Gedächtnis ein. Das Demobrett hatten Meyrinks Klubkollegen Kurt Miedaner, Hans Benker und Herr Käser in beeindruckender Eigenarbeit erstellt und dem Verein im Jahr 1921 zur Verfügung gestellt.
Berühmter Schriftsteller, erster Starnberger Klubmeister & Lehrer am Demonstrationsbrett: Gustav Meyrink
(Bildquelle: https://talesofmytery.blogspot.com).
Beitrittswelle im Premierenjahr trotz Kugel-Abstimmung über Aufnahme von Interessenten
Beeindruckend verlief auch die Mitgliederentwicklung des jungen Klubs. Insgesamt 25 neue Schachspieler gewann der Verein in seiner Premierensaison hinzu – bei nur vier Abgängen. Bis Ende August 1922 stieg die Zahl der Mitglieder sogar auf 38 Denksportler. Die Mitgliedsschwemme überraschte insofern, da es in den Anfangsmonaten keineswegs einfach war dem Verein beizutreten. Über die Aufnahme von Neumitgliedern wurde ausschließlich bei den monatlichen Mitgliedersammlungen beraten und schließlich durch das Werfen von weißen Kugeln (Aufnahme) oder schwarzer Kugeln (Ablehnung) entschieden. Um das Wachstum des Vereins zu forcieren, einigten sich die Vereinsangehörigen bei Ihrer Versammlung am 27.04.1921 aber darauf dieses Verfahren aufzugeben.
Stolze 25 neue Mitglieder – davon fast die Hälfte noch im Gründungsjahr 1920 – und nur vier Abgänge verzeichnete der SK Starnberg in seiner Premierensaison (Bildquelle: Archiv SK Starnberg / Handschriftliche Aufzeichnungen von Christian Gerstetter).
Erneuter Spiellokalwechsel mangels Verzehrs an Klubabenden
So positiv sich der Mitgliederstand des Vereins entwickelte, so schwierig gestaltete sich jedoch die Suche nach einem dauerhaften Spiellokal. Denn auch im „Bayerischer Hof“ konnten die Schachspieler nicht lange bleiben. Hier beschwerte sich bald der Hoteldirektor über den mangelnden Umsatz mit den neuen Gästen: „Motto: lange sitzen, wenig verzehren“ warf er ihnen vor. Da aber ausgeschlossen war, dass sich die Denksportler mehr auf die Speisekarte des Lokals als auf ihre Partien konzentrierten, suchten sie erneut das Weite.
Diesmal ging es in ein Nebenzimmer des Starnberger Wirtshauses „Tutzinger Hof“. Parallel wurde der Spielabend von Mittwoch auf Donnerstag verlegt. Tatsächlich sollte der Verein nun für neun Jahre sesshaft werden – auch weil man gelegentliche „Angriffe“ anderer Interessensgruppen erfolgreich abwehrte. So trafen sich am 15.10.2025 vier Starnberger Beamte ebenfalls im „Tutzinger Hof“, um dort – ebenfalls donnerstags – ihr regelmäßiges Schafkopfen auszutragen. Die Schachspieler protestierten. Nach zwei Aussprachen zwischen beiden Lagern räumten die Schafkopffreunde schließlich eine Woche später das Feld. König schlug Ober!
Von 1921 bis 1930 das bevorzugte Spiellokal der Starnberger Schachspieler: das Wirtshaus „Tutzinger Hof“ (Bildquelle: Wikipedia).
Erste Vereinskrise wegen Hyperinflation
Seine erste große Krise erlebte der Verein zwischen den Jahren 1922 und 1923. In dieser Zeit erreichte die seit dem Beginn des 1. Weltkrieges einsetzende Inflation im Deutschen Reich ihren Höhepunkt, die auch als Hyperinflation bezeichnet wird. Sinnbildlich hierfür war der extreme Wertverfall der Papiermark, die im Jahr 1919 die bis dahin geltende Goldmark als offizielles Zahlungsmittel abgelöst hatte.
Massive Geldentwertung im Deutschen Reich Anfang der 1920er-Jahre im Rahmen der „Hyperinflation“ (Bildquelle: www.wikiwand.com)
Der Preisverfall nahm dramatische Formen an. Kostete ein Laib Brot 1914 noch 32 Pfennige, musste dafür zum Jahresende 1923 die kaum vorstellbare Summe von 399 Milliarden Mark bezahlt werden. Weite Teile der Bevölkerung verloren dadurch ihre Ersparnisse und mussten Hunger leiden. Erst als Reichskanzler Gustav Stresemann am 20.11.1923 die Papiermark durch die Rentenmark ersetzte (Umrechnungskurs 1 Rentenmark = 1 Billion Papiermark), kam die Hyperinflation zu einem Ende.
Die verheerenden wirtschaftlichen Verhältnisse führten auch beim SK Starnberg zu einer sehr angespannten Situation. Die Zahl der Mitglieder fiel im dritten Vereinsjahr von 38 auf 32, auch vier Gründungsmitglieder schieden aus. Von den verbleibenden Vereinszugehörigen nahmen mehrere Mitglieder nicht mehr am Spielbetrieb teil. Mit Ausnahme des Vereinsturniers, für das sich nur zehn Spieler anmeldeten (im Vorjahr waren es noch 24) verzichtete der Schachklub auf weitere Veranstaltungen. Besonders deutlich wurde die sich zuspitzende Lage für den Verein in der Einladung zur Generalversammlung am 14.11.1922. Dort hieß es:
„Das Erscheinen der Mitglieder zur Versammlung wird zur Pflicht gemacht, da voraussichtlich die Auflösung des Klubs in Frage gestellt wird. Unentschuldigtes Nichterscheinen wird als Austrittserklärung aus dem Klub gedeutet.“
Trotz der eindringlichen Worte kamen nur 16 Mitglieder zu der Versammlung. Entgegen der Ankündigung in der Einladung wurden die abwesenden Mitglieder aber nicht ausgeschlossen, sondern lediglich ermahnt. Auch über die Auflösung des Vereins wurde an dem Tag nicht debattiert. Dies änderte sich jedoch bei der folgenden Generalversammlung am 18.10.1923, bei der die „Auflösung des Klubs“ auf der Tagesordnung stand. Hierzu erschienen mit 13 Mitgliedern aber noch weniger Teilnehmer als bei der vorherigen Versammlung. Die Anwesenden sprachen sich eindeutig für eine Weiterführung des Vereins aus. Um Kosten für den Spielbetrieb zu sparen, beschloss die Versammlung je zwei Klubabende im Monat in der Schneiderwerkstatt des Mitglieds Thiele zu bestreiten, die übrigen Klubabende sollten weiter im „Tutzinger Hof“ stattfinden. Diese Regelung wurde bis zum Frühjahr 1924 beibehalten.
Der Schachklub musste im vierten Vereinsjahr den Verlust weiterer acht Mitglieder – darunter zwei Gründungsmitglieder – hinnehmen. Da jedoch sechs neue Schachspieler den Weg in den Verein fanden, sank die Mitgliederzahl nur leicht auf insgesamt 30 Denksportler. Damit war die inflationsbedingte Talsohle des Vereins aber erreicht, und der Verein sollte sich mit dem Ende der Hyperinflation wieder stabilisieren.
Dass der Verein das Klubleben in den Inflationsjahren erhalten konnte und nur moderate Mitgliederverluste verzeichnete, war nicht zuletzt dem großen Engagement des 1. Vorsitzenden Miedaner geschuldet. Für seine besonderen Verdienste in den Bereichen Spielbetrieb, Materialbeschaffung und Organisation wurde er am 22.10.1925 zum ersten Ehrenmitglied des Vereins ernannt. Nebenbei war Miedaner auch ein hervorragender Schachspieler. Er gewann (punktgleich mit Christian Gerstetter) die Klubmeisterschaft 1923/24.
Wechsel des 1. Vorsitzenden im Jahr 1925 – Beginn der Ära von Christian Gerstetter
Mit dem Ende der Hyperinflation machte auch der SK Starnberg wieder Fortschritte. Am 17.02.2024 reiste eine Vereinsauswahl zum renommierten Schachklub München-Ost, um seinen ersten Mannschaftskampf zu spielen. Es war ein erfolgreicher Ausflug: die Seestädter gewannen überraschend mit 6:4. Doch bereits drei Monate später revanchierten sich die Münchner beim Rückkampf in Starnberg und siegten deutlich mit 14,5:1,5.
Doch das war erst der Beginn der engen Beziehung zwischen beiden Vereinen. Nicht nur fanden in den folgenden Jahren weitere Vergleichskämpfe – meist mit dem besseren Ende für die Münchner – statt. Für die Saison 1924/25 trat der damalige Schriftführer Christian Gerstetter sogar von seinem Amt zurück, um sich ein Jahr dem SK München-Ost anzuschließen. Er wollte das Klubleben und den Spielbetrieb in einem großen Verein studieren, um sein Wissen später beim SK Starnberg anzuwenden.
Dazu sollte er bald Gelegenheit haben. Denn am 30.10.1924 wurde der damalige 1. Vorsitzende Miedaner nach Oberhummel bei Freising versetzt und musste seinen Posten aufgeben. Nachdem sein Stellvertreter Herr Gräfenhein den Verein ein Jahr geführt hatte, wurde bei der Generalversammlung am 08.10.1925 Rückkehrer Gerstetter zum neuen 1. Vorsitzenden gewählt. Es war der Beginn einer Ära, denn Gerstetter sollte den Verein für sage und schreibe 29 Jahre bis zum 22.09.1954 führen!
Zwei Gründungsmitglieder, die den Verein über mehr als 50 Jahre prägten: Christian Gerstetter (re.), der im Jahr 1925 den Vereinsvorsitz übernahm, und sein späterer Nachfolger Georg Biberthaler jun (Bildquelle: Archiv SK Starnberg / Aufnahme aus dem Jahr 1929).
Vergleiche mit der regionalen Konkurrenz und den großen Brüdern aus München
Eine von Gerstetters ersten Errungenschaften war die Ausweitung der Starnberger Mannschaftskämpfe. Am 04.07.1926 fand der erste Wettkampf mit dem Schachklub Schongau statt, den die Starberger mit 10:5 für sich entscheiden konnten. Den Rückkampf am 10.10.1926 gewannen die Seestädter gar mit 12:3. Auch gegen den SK Weilheim, dem man erstmals am 26.05.1927 gegenübersaß, blieben die Starnberger mit 11:7 siegreich. Beim Rückkampf am 23.10.1927 mussten sie sich allerdings mit einem 7:7-Remis begnügen. Als noch härtere Widersacher entpuppten sich die Schachfreunde aus Fürstenfeldbruck. Sie besiegten die SC-Akteure sowohl beim Premierenmatch am 01.05.1927 mit 9:5 als auch beim Rückkampf am 06.11.1927, diesmal mit 9:7.
Die Seestädter scheuten aber auch nicht Wettkämpfe gegen die spielstarken Münchener Klubs. So trat man am 23.06.1929 in Starnberg gegen den Verein München-Anderssen, der später in die Schachabteilung des FC Bayern München unbenannt werden sollte, an. Die Gäste zeigten dabei ihre ganze Klasse und gewannen mit 11,5:2,5. Auch beim Rückkampf in der Landeshauptstadt am 08.03.1931 waren die Starnberger klar unterlegen und verloren mit 1,5:8.5. Im Duell mit dem SK Weiße Dame München schlug man sich im Hinspiel am 15.09.1929 dagegen achtbar und unterlag nur knapp mit 5:7. Beim Rückkampf in München rund drei Monate später waren die Seestädter dann chancenlos und mussten eine 2:9-Niederlage einstecken.
Nichtsdestotrotz machten sich die SC-Akteure durch die Vergleichskämpfe einen Namen als verlässliche Wettkampfpartner. Dies bescherte dem Verein im Jahr 1929 eine Einladung des österreichischen Pfarrers Roman Fink. Dieser suchte Teilnehmer für einen Massenwettkampf „Südbayern gegen Westtirol“ in Ehrwald (Tirol). Die Seestädter ließen sich nicht lange bitten und nahmen mit Christian Gerstetter, Georg Oberndorfer, Clemens Kainzbauer und Hans Geißelbrecht an der Veranstaltung teil.
Es begann mit einer Fruchtschale…
Eine kleine Fruchtschale führte im März 1927 zu einem weiteren clubinternen Turnier – dem Starnberger Wanderpokal-Turnier. Ein anonymer Gönner hatte dem Verein das Geschenk gestiftet, verbunden mit einer expliziten Bitte: die Schale sollte der Preis eines Turniers sein, an dem nur eine bestimmte Gruppe von Spielern starten durfte – nämlich die Teilnehmer des Haupt- und Nebenturniers der Starnberger Vereinsmeisterschaft in der Spielzeit 1926/27 sowie alle Neumitglieder ab dem Zeitpunkt der Stiftung.
Der Gönner bezog sich bei seiner Auswahl auf einen Beschluss der Generalversammlung vom 11.09.1924. Dort wurde festgelegt, dass das Klubturnier in einem Meisterschafts–, einem Haupt– und einem Nebenturnier ohne Auf- und Abstieg gespielt werden sollte. Die Mitglieder konnten dabei selbst entscheiden, in welcher Gruppe sie antreten wollten. Der Klubmeister war stets der Sieger des Meisterschaftsturniers. Das Wanderpokal-Turnier konnte deshalb als Chance für etwas schwächere Spieler betrachtet werden, ebenfalls eine Trophäe zu gewinnen. Insgesamt zehn Teilnehmer nahmen am Premierenturnier teil, Sieger wurde Adolf Gottwald.
Abschlusstabelle zum 1. Starnberger Wanderpokal-Turnier im Jahr 1927 mit dem Sieger Adolf Gottwald (Bildquelle: Archiv SK Starnberg / Handschriftliche Aufzeichnungen von Christian Gerstetter).
Das Wanderpokal-Turnier wurde fortan mit Ausnahme der Saison 1932/33 jedes Jahr ausgespielt, bis es schließlich im Jahr 1935 seinen Abschluss fand. Es erfreute sich großer Beliebtheit, gleichzeitig erlebte es mehrere Änderungen. Die größten Neuerungen gab es vor der 3. Auflage, die am 7.03.1929 begann. Da die Fruchtschale als Wanderpreis beschädigt war, ersetzte sie der Verein mit einem Pokal.
Zudem wurde wegen der Rekordbeteiligung von 20 Teilnehmern der Spielmodus geändert: so fanden zunächst drei Runden nach Auslosung statt. Verlor ein Teilnehmer drei Mal, schied er automatisch aus – Remisen zählten als halbe Verlustpunkte. Danach wurde so lange weitergespielt, bis lediglich ein einziger Spieler übrigblieb, der weniger als drei Verlustpunkt aufwies. Der Turniersieg ging schließlich an Adolf Hirt, der 1932 erneut triumphierte. Den Wanderpokal nahm am Ende aber nicht Hirt, sondern Rudolf Popp mit nach Hause. Er gewann das Turnier 1934 und 1935. Damit verzeichnete er zwar ebenso viele Titelgewinne wie Hirt, benötigte dafür aber weniger Teilnahmen. Anbei eine von Popps Partien auf dem Weg zum Turniersieg im Jahr 1934:
Auch die Lokalpresse berichtete über den Turnierverlauf des Starnberger Wanderpokals – hier wurde die Partie von Turniersieger Rudolf Popp gegen Herrn Feldbaum in der Spanischen Eröffnung vom 11.03.1934 abgedruckt. Interessanterweise kam bereits dort die heute noch auf Großmeister-Ebene hochaktuelle Berliner Verteidigung aufs Brett (Bildquelle: Archiv SK Starnberg)
Dem Wanderpokal & Vereinsfeiern sei Dank – die ersten Damen kommen in den Verein
Ein angenehmer Nebeneffekt des Wanderpokal-Turniers war, dass der begrenzte Teilnehmerkreis auch für Frauen interessant war. So beteiligte sich im Jahr 1928 erstmals eine Dame – Frau Fink – am Wettbewerb, die erste weibliche Turnierteilnahme im SK Starnberg überhaupt! Mit Frau Fink traten im selben Jahr vier weitere Damen in den Verein ein. Überhaupt erlebte der Schachklub seit 1924 einen rapiden Mitgliederanstieg. Von damals 30 Denksportlern wuchs das Klubvolumen bis zum Herbst 1931 auf nicht weniger als 71 Mitglieder an.
Dass zumindest vereinzelt Frauen dem Verein beitraten, hatte wohl auch damit zu tun, dass die Geselligkeit im Schachklub ab Mitte der 1920er-Jahre deutlich zunahm. So fanden die Preisverleihungen für das Klubturnier ab dem Jahr 1926 stets im festlichen Rahmen inklusive Live-Musik statt. Neben den festlichen Siegerehrungen begann der Verein im Jahr 1928 eine regelmäßige Faschingsfeier zu veranstalten, das „Schachkränzchen“. Dabei handelte es sich um eine fröhliche Tanzveranstaltung, zu der die Anwesenden oft maskiert und mit Partner erschienen. Die Organisation übernahmen meist der langjährige Vereinskassier Fritz Geißelbrecht und seine Ehefrau. Gefeiert wurde meist im Starnberger Hotel „Seehof“. Das bislang größte Faschingskränzchen – gleichzeitig die auffälligste gesellschaftliche Veranstaltung des Schachklubs – fand am 8.02.1930 statt. Viele Damen erschienen dabei in schachbrett-gemusterten Kleidern, einige hatten sich zusätzlich Figuren auf den Feldern einnähen lassen. Die Stimmung war ausgelassen, und es wurde bis weit nach Mitternacht gefeiert.
Auf einen Walzer mit den Schachspielern: die ab Ende der 20er-Jahre veranstalteten Faschingsfeiern des Vereins erfreuten sich großer Beliebtheit sorgten dafür, dass auch einige Damen Mitglied im Schachklub wurden (Bildquelle: Archiv SK Starnberg).
Nach den Damen kommen die Großmeister – Bogoljubow & Spielmann geben Simultanvorstellungen
Abgesehen von seinen Faschingsfeiern kannte der Schachklub das Hotel „Seehof“ bereits von einem Großereignis, das dort am 16.01.1927 stattfand – eine Simultanveranstaltung mit Efim Bogoljubow. Der deutsche Spitzengroßmeister mit russischen Wurzeln sollte zwei Mal (1929 und 1934) gegen Alexander Aljechin um die Schach-Weltmeisterschaft spielen. In Starnberg trat er parallel gegen 44 hochmotivierte Kontrahenten an. Seine Bilanz war eines WM-Herausforderers durchaus würdig: 41 Siege, ein Remis und lediglich zwei Niederlagen. Es sollte nicht Bogoljubows letzter Besuch in der Kreisstadt bleiben.
Gab am 16.01.1927 gegen 44 Gegner seine erste Simultanvorstellung in Starnberg: der zweifache WM-Herausforderer Efim Bogoljubow (Bildquelle: www.wolfgang-unzicker.de)
Bogoljubow war jedoch nicht der einzige Großmeister, der in Starnberg sein Können zeigte. Im Rahmen der „Starnberger Seewoche“ im Sommer 1929 konnten die SC-Akteure zusammen mit dem SK Tutzing, den österreichischen Meisterspieler Rudolf Spielmann für zwei Simultanveranstaltungen gewinnen. In Tutzing erzielte er am 29.07.1929 in 30 Partien 25 Siege, spielte drei Mal remis und verlor zwei Partien. Noch etwas mehr Punkte nahmen ihm tags darauf die Teilnehmer der Starnberger Vorstellung ab. Hier verbuchte der Großmeister aus 38 Partien erneut 25 Siege, musste aber 9 Remisen abgeben und vier Niederlagen einstecken.
Lernte die kampfstarken Schachspieler in Tutzing und Starnberg durch zwei Simultanveranstaltungen im Juli 1929 kennen: der österreichische Spitzengroßmeister Rudolf Spielmann (Bildquelle: Wikipedia).
Bemerkenswert bei Spielmanns Simultanvorstellungen war, dass er sie unmittelbar vor seiner Teilnahme am hochklassig besetzten Internationalen Schachmeisterturnier im tschechischen Karlsbad absolvierte. Dort belegte er einen ausgezeichneten zweiten Platz – punktgleich mit Ex-Weltmeister Jose Raul Capablanca, den er im direkten Duell besiegte. Man kann also durchaus behaupten, dass für Spielmann das Kräftemessen mit den Tutzinger und Starnberger Schachspielern eine willkommene Turniervorbereitung darstellte!
Simultanveranstaltungen in Tutzing & Starnberg als gute Turniervorbereitung? Beim anschließenden Internationalen Schachmeisterturnier in Karlsbad 1929 belegte Rudolf Spielmann einen exzellenten geteilten 2. Platz (Bildquelle: https://nimzowitsch.net/karlsbad-1929.html)
Erfolgreiche Vergleichskämpfe mit Tutzing, aber unglücklicher Versuch einer gemeinsamen Meisterschaft
Die gute Kooperation mit dem SK Tutzing bei den Simultanveranstaltungen war für den SK Starnberg im Übrigen kein Zufall. Man kannte sich bereits aus drei Vergleichswettkämpfen. Bei der Premiere am 8.12.1928 in Tutzing trennten sich die Vereine 3,5:3,5. Beim folgenden Duell am 19.01.1929 behielten dann die Kreisstädter mit 7,5:4,5 die Oberhand. Auch beim Rückkampf am 06.04.1929 triumphierte Starnberg – diesmal mit 7:4.
Die Beziehungen zu Tutzing und anderen Schachspielern rund um den Starnberger See wollte der SK Starnberg zudem mit einem Einzelturnier, der „Starnbergersee (Würmsee) Meisterschaft“, im Jahr 1930 aufwerten. Das Turnier stand jedoch unter keinem guten Stern. So wünschte der Bernrieder Konsul Scharrer dem Turnier zwar ein gutes Gelingen, stiftete aber keinen Preis. Zudem machten die ungünstigen Verkehrsverhältnisse zur damaligen Zeit eine weite Anreise an einem Abend während der Arbeitswoche extrem schwierig. Dies führte dazu, dass sich lediglich 10 Spieler für das Turnier anmeldeten – davon kamen acht Spieler aus Starnberg und zwei Denksportler aus Tutzing. Der Turniersieg sicherte sich der Starnberger Spitzenspieler Gustav Meyrink in überlegener Manier. Er sollte jedoch der einzige „Starnbergersee (Würmsee) Meister“ bleiben, da das Turnier kein weiteres Mal ausgetragen wurde. Erst 72 Jahre später, im Jahr 2002, sollte mit der Einführung des „Fünfseenland-Pokalturniers“ als gemeinsame Turnierserie der Schachvereine aus Starnberg, Gauting und Herrsching ein ähnlicher Wettbewerb ins Leben gerufen werden – dann mit wesentlich mehr Erfolg.
Erste und für lange Zeit die einzige gemeinsame Veranstaltung der Schachspieler aus Starnberg und Tutzing: die „Starnbergersee (Würmsee) Meisterschaft“ im Jahr 1930 mit dem souveränen Sieger Gustav Meyrink (Bildquelle: Archiv SK Starnberg / Handschriftliche Aufzeichnungen von Christian Gerstetter).
Elfenbein-Schachspiel als Andenken an den Oberstleutnant
Inmitten der Erschließung neuer Partnerschaften musste der Verein im Herbst 1928 den Tod eines treuen und gleichzeitig illustren Mitglieds verkraften. Baron von Arwuld de la Periere, ein ehemaliger Oberstleutnant mit französischen Wurzeln und verwandt mit Lothar von Arnauld de la Periere, dem erfolgreichsten U-Boot-Kommandant der deutschen Seekriegsgeschichte, hatte sich in seinem Ruhestand dem Starnberger Schachklub angeschlossen. Besonders mit dem SC-Vorsitzenden Gerstetter unterhielt er ein enges Verhältnis und traf sich mit ihm regelmäßig am Samstagnachmittag im Tutzinger Hof zum gemeinsamen Spiel. Befragt nach seinem Gesundheitszustand pflegte er mit tiefer Baßstimme zu sagen: „Nur wenn ich Schach spielen kann, geht es mir gut!“ Zu Lebzeiten stiftete von Arwuld de la Periere dem Verein ein außergewöhnliches Elfenbein-Schachset. Es wurde zu seinen Ehren noch lange im Schachschrank des Klubs aufbewahrt.
Kein Aljechin, aber neues Spiellokal & Mannschaftsturnier um den Silberpokal zum 10. Geburtstag
Das 10-jähriges Bestehen des Schachklubs war für den Verein besonders im Rückblick auf die schweren Anfangsjahre ein Grund zum Feiern. In einer Generalversammlung vom 2.10.1930 beschlossen die Mitglieder, das Jubiläum im Frühjahr 1931 mit einem Pokal-Mannschaftsturnier zwischen Starnberg und drei weiteren Vereinen sowie einer anschließenden gemeinsamen Feier zu begehen. Interessanterweise schlug man zu Gunsten des Pokalwettbewerbs die Möglichkeit aus, den amtierenden Weltmeister Alexander Aljechin für eine Simultan-Vorstellung in die Kreisstadt zu holen. Vermutlich war der Bedarf an Großmeisterschach nach den durchaus gelungenen Gastspielen von Bogoljubow und Spielmann im Verein vorerst gedeckt.
Obwohl nicht Teil des Jubiläumsprogramms, so war es doch passend, dass der Verein zum 10. Geburtstag ein neues Spiellokal bekam. Die Schachspieler zogen zum 9.10.1930 vom Nebenzimmer des „Tutzinger Hof“ in den Kaffeeraum des Hotels „Seehof“ um. Die neue Lokalität war deutlich besser geeignet, um der in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Anzahl an Mitgliedern geeignete Spielmöglichkeiten zu bieten. Zudem stellte der Herbergsvater keine Verzehrforderungen an die neuen Gäste. Das lag vor allem daran, dass Hotelbesitzer Adolf Hirt selbst Mitglied im SK Starnberg war. Er stiftete für das anstehende Pokal-Mannschaftsturnier sogar einen Silberpokal für das Siegerteam. Dem wollte Gründungsmitglied Georg Biberthaler nicht nachstehen und spendierte seinerseits einen Silberbecher, der als Trostpreis vergeben werden sollte.
Ab dem 09.10.1930 das neue Spiellokal des SK Starnberg: der Kaffeeraum im Hotel „Seehof“ von Klubmitglied Adolf Hirt (Bildquelle: www.tripadvisor.de).
Der Pokal-Mannschaftswettbewerb fand schließlich am 18.04.1931 und 19.04.1931 im neuen Spiellokal statt. Doch statt der erhofften drei Gästeteams konnte man mit dem SK Weilheim und dem Damenschachclub München lediglich zwei externe Delegationen begrüßen. Da der SK Schongau seine Zusage knapp zwei Wochen vor der Veranstaltung zurückzog, blieb zu wenig Zeit um einen Ersatzverein zu finden. So stellte der Gastgeber zwei Mannschaften, um das 4er-Turnier aufzufüllen.
Die Auslosung der Halbfinals ergab folgende Paarungen: SK Starnberg I vs Damenschachklub München und SK Starnberg II vs SK Weilheim. Während Starnbergs Erste ihr Match souverän mit 7,5:2,5 gewann, musste sich die 2. Mannschaft ebenso klar mit 2:8 geschlagen. Das Finale um den gestifteten Silberpokal bestritten somit der SK Starnberg I und der SK Weilheim. Die Gastgeber zeigten dabei, dass sie den Cup nicht hergeben wollten und siegten erneut mit 7,5:2,5. Im Duell zwischen dem SK Starnberg II und dem Damenschachclub München ging es um den Silberbecher als Trostpreis. Hier erwiesen sich die Jubilare als echte Kavaliere: obwohl sie das Match etwas überraschend mit 5,5:4,5 gewannen, überließen sie den Damen den Silberbecher. Diese waren von der noblen Geste gerührt und freuten sich ausgiebig über das Geschenk. Die Damen nahmen auch, ebenso wie die Weilheimer Gäste, lange an der feucht-fröhlichen Siegerehrung teil. Insbesondere der Silberpokal wurde mehrfach gefüllt und machte die Runde. Auch der Silberbecher wurde oft genug geleert. Letztlich stärkte die Jubiläumsfeier die freundschaftlichen Bande zwischen Starnberg und den beiden Gastvereinen beträchtlich, und man sollte sich in den kommenden Jahren mehrfach zu weiteren Vergleichskämpfen treffen.
Von der Festtagsstimmung in den Krisenmodus – Schachklub spürt Folgen der Weltwirtschaftskrise
War der Schachklub im Frühjahr 1931 wegen der Aktionen zum 10-jährigen Bestehen noch in Festtagslaune, so trübte sich die Stimmung im Laufe des Jahres zunehmend. Grund hierfür waren die immer größer werdenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise im Deutschen Reich. Besonders die infolge von rückläufiger Produktion und Firmenzusammenbrüchen einsetzende Kurzarbeit und Massenarbeitslosigkeit führten zu einer deutlichen Verschlechterung der Lebensverhältnisse, teilweise sogar zu einer Verelendung der Gesellschaft.
Drastischer Anstieg der Arbeitslosigkeit im Deutschen Reich seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929, die ihren Höchststand im Jahr 1932 erreichte (Bildquelle: https://de.statista.com).
Eine im Juli 1931 einsetzende Bankenkrise sowie die unter dem damaligen Reichskanzler Heinrich Brüning praktizierte Deflationspolitik verschärften die Geldmittelknappheit in der Bevölkerung weiter. Die sozialen Folgen waren verheerend: in den Städten suchten Menschen nach billigen Schlafplätzen für einige Stunden, da sie sich keine dauerhafte Unterkunft mehr leisten konnten. Ebenso stieg der Andrang auf Wärmehallen von Bürgern, die kein Geld für Heizmaterial ausgeben konnten.
Trauriges Jahr 1932: fast keine Mannschaftskämpfe, keine Preisverleihungen & Tod des ersten Lehrmeisters
Aufgrund der katastrophalen Verhältnisse forderte der Bayerische Schachbund in einem Rundschreiben vom 1.12.1931 die Mitgliedsvereine auf, Arbeitslosen kostenlos Spielmöglichkeiten zu gewähren. Dem Aufruf kam der SK Starnberg anstandslos nach. Gleichzeitig verzichtete der Verein bis zum Herbst 1932 auf die Ausrichtung von Mannschaftskämpfen und Simultanveranstaltungen. Das Klubturnier fand jedoch mit bemerkenswerten 34 Teilnehmern statt. Klubmeister wurde zum vierten Mal der Vereinsvorsitzende Gerstetter. Ebenso wurde das Wanderpokal-Turnier mit beachtlichen 18 Startern durchgeführt, hier holte sich zum zweiten Mal Adolf Hirt den Titel. Bei der Siegerehrung für beide Turniere gab es aber im Gegensatz zum Vorjahr keine Preise, es entfiel auch die sonst übliche musikalische Untermalung der Preisverleihung. Entgegen seiner Gewohnheiten veranstaltete der Verein im Jahr 1932 auch keine Faschingsfeier.
Der Mitgliederbestand im Verein fiel zwischen September 1931 und August 1932 nur leicht (von 71 auf 66 Mitglieder). Ein Verlust schmerzte den Verein aber ganz besonders: Gustav Meyrink, Spitzenspieler und Sieger des ersten Klubturniers, verstarb am 04.12.1932 im Alter von 64 Jahren. Laut dem SC-Vorsitzenden Gerstetter hat der Verein besonders durch Meyrinks Vorträge am clubeigenen Demobrett sehr viel gelernt. „Er sollte seinem ersten Lehrmeister stets ein ehrendes Andenken bewahren“, so der Vereinschef. Es dauerte jedoch bis zum Jahr 2011, bis der Klub Gerstetters Ratschlag nachkam. Dann nämlich wurde zum Gedenken an den Schriftsteller der Gustav-Meyrink-Pokal ins Leben gerufen, der innerhalb des Vereins fünf Mal als Schnellschachturnier ausgespielt werden sollte.
In seinem Nachruf auf Meyrink ließ Gerstetter ebenfalls wissen, dass dieser als Spieler „im Klub auf einsamer Höhe“ stand. Beleg dafür ist eine Kombination, mit der Meyrink seine Partie gegen Herrn Killermann bei der „Starnbergersee (Würmsee) Meisterschaft“ im Jahr 1930 gewann:
In dieser Stellung gewann Meyrink mit der forcierten Abwicklung 1. Sh5+! Kg8 (1. … Kh6 2. Dg5#) 2. De8+ Tf8 3. Txg6+! hxg6 4. Dxg6+ Kh8 5. Dg7# (Bild-/Textquelle: Helmut Pfleger, ZEITmagazin Nr. 22/2019).
Meyrinks vermutliche Turnierabstinenz wegen NSDAP-Ortsgruppenleiter Franz Buchner
Nichtsdestotrotz spiegeln Gerstetters Worte wohl nur die halbe Wahrheit wider. Denn obwohl Meyrink vermutlich während der kompletten 1920er-Jahre der stärkste Spieler des Vereins war, blieb er von 1922 bis einschließlich der Spielzeit 1929/30 der Klubmeisterschaft fern. Grund hierfür könnte das feindselige Verhalten des langjährigen SC-Schriftführers (1924-1930) und Leiters der Starnberger NSDAP-Ortsgruppe (1925-1928), Franz Xaver Buchner, gewesen sein. Dieser beschreibt in seiner 1938 erschienenen Autobiographie „Kamerad! Halt aus! Aus der Geschichte des Kreises Starnberg der NSDAP“ seine Abneigung sowohl gegen die jüdischen Vereinsmitglieder Robert Held und Eugen Marx als auch gegen Meyrink. Letzteren verunglimpft er in dem Buch als „Bastard“ und „Judenknecht“. Laut Buchner eskalierte der Streit zwischen ihm und dem Trio an einem Klubabend Anfang der 20er-Jahre so stark, dass ein vereinsinterner Ausschuss tagen und entscheiden musste, wer für die Weiterführung eines ungestörten Spielbetriebs das Spiellokal verlassen sollte. Gemäß Buchner waren es „die Andersgesinnten“.
Buchner gibt weiter an, dass Meyrink, Held und Marx aus dem Verein austraten „weil ihnen die ständigen Reibereien auf die Nerven gingen“. In Bezug auf Eugen Marx, der den Verein in der Saison 1923/24 verließ, kann das tatsächlich zutreffen. Meyrink und Held wurden dagegen bis Anfang der 30er-Jahre als Mitglieder geführt. Auffällig ist aber, dass beide ab dem Jahr 1922 nicht mehr bei der Klubmeisterschaft antraten, an der Buchner regelmäßig teilnahm. Erst als dieser wegen zunehmender Parteiverpflichtungen – er gehörte ab 1928 dem Starnberger Stadtrat an und war ab demselben Jahr als Gauredner aktiv – nicht mehr an Vereinsturnieren teilnahm, kehrten Meyrink und Held zurück. Meyrink wurde dabei in der Saison 1930/31 auf Anhieb souverän Klubmeister. Es war gleichzeitig das letzte Turnier, das Meyrink in Starnberg bestritt.
Machtdemonstration beim Comeback: Gustav Meyrink gewann nach achtjähriger Klubturnier-Abstinenz ungeschlagen die Starnberger Klubmeisterschaft 1930/31. Es war zudem sein letztes Vereinsturnier. (Bildquelle: Archiv SK Starnberg / Handschriftliche Aufzeichnungen von Christian Gerstetter).