Pattaya – ein Schlag ins Wasser!
Tagebuch
vom 09.04.-22.04.2011
Samstag, 09.04.2011:
Die Warterei hat ein Ende. Das Thailand-Open ruft! Aber
leider steht mir die lästige Anreise bevor, weshalb ein etwas mulmiges Gefühl in
der Magengegend aufkommt. Mittags, kurz vor 13:00: Ich packe meine sieben
Sachen und mache mich per Bus und S-Bahn auf den Weg zum Flughafen. Alles
klappt wie am Schnürchen. Keine zwei Minuten stehe ich in der Warteschlange am
Check-in-Schalter von Air Berlin, da taucht auch schon Anton samt Ehefrau und
Tochter Simone auf! Im Schlepptau haben sie Pia, die Ehefrau von Neumitglied
Herrn Machalet, die uns auf unserer Reise nach Fernost begleiten wird.
Pia hatte am Samstagfrüh richtig unangenehmen Stress, denn beim routinemäßigen
Blick in ihren Reisepass stellte sie entsetzt fest, dass dieser bei der
Ausreise nur noch fünf Monate gültig ist. Vorgeschrieben sind aber sechs
Monate. Bürgermeister und Gemeindebeamte wurden angeklingelt, um die
Ausstellung eines Ersatzausweises zu ermöglichen, was gelang! So etwas kann nur
auf dem Land klappen. In der Preisliste der Gemeindedienstleistungen ist ein
solcher Fall sogar vorgesehen. „Samstagszuschlag 10,-“ ist dort zu lesen!
Wir starten kurz nach 16:00 mit gut zwanzigminütiger Verspätung, und anfangs
will die Zeit einfach nicht vergehen, obwohl ich ausgiebig Zeitung und
Zeitschriften lese. Die ersten um mich herum versuchen ab 19:00 Nachtruhe zu
finden. Wie soll das denn funktionieren? Der Abend ist meine beste Zeit! Die
Flugdauer beträgt zehn Stunden und zwanzig Minuten, bei einer Zeitverschiebung
von 5 Stunden. Gegen 22:45 mache auch ich meine Leselampe aus, obwohl ich
topfit bin. Eine geschlagene Stunde mühe ich mich nach Kräften, einzuschlafen,
vergeblich. Stattdessen gibt es kurz vor Mitternacht Frühstück! Mein Magen
wundert sich.
Nachdem ich mich satt gegessen habe, verbleiben noch knapp zwei Flugstunden bis
Bangkok. Endlich fallen die Augen zu und ich kann etwas abschalten. Ein
erholsamer Schlaf ist das natürlich nicht. Bald kommt die Durchsage des
Kapitäns, dass wir uns im Landeanflug auf Bangkok befinden. Die Türkei, den
Iran, Pakistan und Indien haben wir
bereits überflogen. Jetzt, da ich richtig kaputt bin, ist der Flug beendet!
Sonntag, 10.04.11:
Ich packe Kamera, Laptop sowie Lesestoff und torkle halb bewusstlos die
nicht enden wollenden Gänge des Bangkoker Flughafens entlang Richtung
Einreiseschalter. Dort sammeln sich wahre Menschenmassen an geschätzten zwanzig
Schaltern. Obwohl ich zehn Minuten vor den anderen am Stauende ankomme, sind
Anton & Co. eine geschlagene halbe Stunde eher durch dieses ätzende
Nadelöhr geschlüpft. Ich habe einfach Pech mit der Auswahl meines gewählten
Schalters. Na ja, wenigstens habe ich gleich Geld umgetauscht.
Insgesamt verbringe ich fast eineinhalb Stunden mit Warten und bin danach
trotzdem nassgeschwitzt! Mein ganzer Körper klebt. Dabei verrät mir ein Blick
durch riesige Fensterfronten, dass es neblig ist. Von der Sonne ist weit und
breit nichts zu sehen.
Netterweise warten die anderen auf mich, obwohl wir verschiedene Transfers
haben. Die „Vier vom Ammersee“ werden von einem Bekannten Antons abgeholt, der
vor einiger Zeit in einen kleinen Ort namens Jomtien, ganz in der Nähe von
Pattaya, ausgewandert ist, während ich einen Transfer im Rahmen meiner
Pauschalbuchung habe. Nachdem ich gleich meinen Namen auf einem der vielen
Schilder gefunden habe, verabschieden wir uns bis zum morgigen Tag.
Eine äußerst charmante Thai teilt mir in gutem Deutsch mit, dass wir noch auf
einen weiteren Gast warten müssen. Nach zehnminütigem Warten im Stehen und
einsetzenden Rückenschmerzen lasse ich mich in einem Wartebereich der Flughalle
nieder. Dort verbringe ich eine weitere halbe Stunde, ehe meine „Agentin“ mir
Zeichen gibt, dass es losgeht. Der andere Fluggast ist wohl nicht angekommen.
Als ich das Flughafengebäude verlasse, trifft mich fast der Schlag. Es ist so
schwül-dampfig, wie ich es noch selten erlebt habe. Das sind gefühlte 40°! Wie
soll ich das hier zwei Wochen lang aushalten? Sie bringt mich zu einem
Kleinbus, in dem der Fahrer bereits wartet. Ansonsten befindet sich niemand in
dem 8-Sitzer.
Zusammen mit der Thailänderin fahre ich also
nach Pattaya. Was für ein Aufwand nur für mich! Unterwegs holt sie am
Straßenrand kleine Teigtaschen, gefüllt mit süßer Kokoscreme – KÖSTLICH! Die
Fahrt ist angenehm, und nach 1 ½ Stunden erreichen wir das Ziel Pattaya,
immerhin eine Stadt mit 90.000 Einwohnern. Ich entdecke den Eingang des Hotels
„Dusit Thani“, in dem morgen das Turnier beginnt. Gleich in der nächsten
Seitenstraße befindet sich mein Domizil, das Green Park Resort. Optimal. Das
sind geschlenderte fünf Minuten. Bei diesem Klima zählt jeder Meter!
An der Rezeption werde ich gleich von drei Thaidamen empfangen. Eine vierte
reicht mir ein Glas mit einem köstlichen Fruchtcocktail. Ich weiß gar nicht,
wie mir geschieht und bedanke mich so überschwänglich, wie es aufgrund meines
allgemeinen Zustandes noch geht. Als das Schriftliche erledigt ist und ich
endlich in mein Zimmer will, werde ich in der Lobby auf einen viel zu weichen
Polstersessel verfrachtet. Dort verbringe ich weitere 45 Minuten. Ich vermute,
dass das Zimmer noch nicht fertig ist, was sich später auch bestätigt. Den
Aufruf meines Namens höre ich nur noch im Halbschlaf. Ich bin eingenickt.
Ein Hotelboy trägt mein Gepäck vorbei an der großen Poollandschaft hinauf in
den zweiten Stock. Direkt gegenüber meiner Zimmertür sitzt an einem Baumstamm
eine Zikade, die ohrenbetäubenden Lärm veranstaltet. In Deutschland würde sie
damit den gesetzlichen Dezibel-Höchstwert mühelos überschreiten. Hoffentlich
sucht sie sich bald einen anderen Ort zum zirpen!
Er schaltet die Klimaanlage ein und erklärt
mir die Funktion des Hotelsafes. Wie durch ein Wunder kann ich ihm geistig
gerade noch folgen. Ich entlohne ihn mit 20 Baht, was ca. 50 Cent entspricht
und das Doppelte von dem ist, was an Trinkgeld für einen Kofferträger empfohlen
wird! Ich muss mich erst einmal an diese Tarife gewöhnen. In der nächsten
Sekunde falle ich auf das große Bett und verabschiede mich für fast zwei
Stunden ins Land der Träume.
Es ist kurz vor 15:00, und ich bin schon wieder wach. Das Zimmer ist sehr
geräumig, bietet Minibar, Fernseher, Radio, ein großes Bad samt Wanne und eine
breite Fensterfront, deren Tür auf einen stattlichen Balkon führt. Mein Blick
fällt auf nichts als grün. Alles quillt über vor allerlei Pflanzen und Bäumen,
die hier wie Unkraut wachsen. Insofern kann man auch nicht von einer richtigen
Aussicht sprechen, aber egal.
Die Klimaanlage ist so montiert, dass ich
nicht direkt angepustet werde, wenn ich im Bett liege. Somit wird die
Erkältungsgefahr minimiert. Das Hotel spendiert täglich zwei
Trinkwasserflaschen, abgefüllt in 0,5 Liter Glasflaschen. Dazu gibt es einen
Wasserkocher und Teebeutel, ebenfalls gratis. Und noch eine gute Nachricht: Es
gibt keine Probleme mit Moskitos oder anderem lästigem Getier.
Als nächstes steht der Elektrosteckertest auf
dem Programm. Wieder einmal habe ich meinen Adapter umsonst dabei. Der Stecker
meines Laptops passt nämlich einwandfrei in die Buchse. Ich schalte den
Computer ein, und schon ist Strom da – WUNDERBAR! Aber bevor ich mit dem
Tagebuch beginne, muss ich erst einmal losziehen, um mir Waschlappen zu kaufen.
Die habe ich nämlich daheim vergessen. Außerdem will ich mir einen Stadtplan
besorgen und die Stadt ein wenig erkunden.
Ich durchstreife mehrere Läden, in denen es
verflixt kalt ist, denn die Klimaanlagen laufen dort auf der höchsten Stufe.
Waschlappen finde ich nirgends. Dafür sehe ich jede Menge peinlicher Figuren
auf der Straße. Männer bis zu siebzig Jahren mit dicken, fetten Bierbäuchen
samt Glatze und Doppelkinn, Händchen haltend mit 19-jährigen Girlies. Dazu
tragen sie Boxershorts und ärmellose T-Shirts, sodass ihre teilweise von Haaren
überwucherten Oberarme zu sehen sind. Viele sind zusätzlich von Tätowierungen
verunstaltet. Was für ein furchtbarer Anblick!.
Es gibt neben der Flut von Lokalen
hauptsächlich zwei Sorten von Läden: Massagesalons und Schneidereien. Selbst
wenn ich zwei Monate lang hier wäre und jeden Tag drei Massagen bei immer
wieder neuen Salons buchen würde, wäre ich am Ende immer noch nicht mit allen
durch! Mein erster Eindruck von der Stadt ist nicht gut. Eine klassische
Touristenhochburg im negativen Sinne: dreckig, laut, hektisch. Aber was soll’s,
ich bin ja zum Schachspielen hergekommen. Außerdem sind die überaus
freundlichen Einheimischen in der Mehrheit, und die günstigen Preise tun ihr
übriges.
Auf den Straßen höre ich vielfach russische Sprachfetzen. Es gibt usbekische
und kasachische Lokale, die in kyrillischer Schrift werben, und auch im
Vergnügungsgewerbe sind die Osteuropäer höchst aktiv. In einer eiskalten
Drogerie spreche ich ein deutsches Ehepaar an und frage sie nach Waschlappen.
Mir kann geholfen werden. Ich bekomme eine Adresse genannt, zu der ich flotten
Schrittes etwa 500 Meter strebe. Ich lande ich einer Art Kaufhaus und bin ob
der schieren Größe hoffnungslos verloren. Im ersten Stock spreche ich eine
Verkäuferin an, die mich durch die gigantische Verkaufsfläche bis hin zu den
Handtüchern und Waschlappen begleitet. Dort suche ich mir zwei Waschlappen aus,
das Stück zu 25 Baht. Das entspricht etwa 57 Cent.
Mit meinem Fang mache ich mich auf den
Heimweg. Der Ausflug wurde am Ende viel länger als geplant. Ich bin restlos
durchgeschwitzt, obwohl es auf dem Weg ins Hotel zu regnen begonnen hat. Das
kostbare Nass hilft aber nur bedingt. Die Klamotten kleben auf der Haut, und
ausgeschlafen bin ich natürlich auch noch nicht. So genieße ich die fällige
Dusche und weihe die Waschlappen ein. Mein erstes Investment in Thailand!
Lieber erst klein anfangen…
Frisch geduscht und abgekühlt schreibe ich die ersten Seiten des Tagebuchs.
Gegen 20:15 wage ich noch einmal ein paar Schritte nach draußen, denn der
Hunger macht sich drastisch bemerkbar. Relativ schnell lande ich in einem
Thailokal an einer der Hauptstraßen, da ich keine Geduld habe, länger nach
einem geeigneten Restaurant zu suchen. Ich werde nicht enttäuscht:
Meeresfrüchte mit Gemüse in einer köstlichen Soße, eine große Portion
griechischer Salat und ein Ananascocktail für nicht einmal 6 Euro!
Aus purer Neugier schneie ich in eine der zahllosen Bierbars herein. Einige
Mädels tanzen im Bikini, viele hocken an der Bar und warten auf Kundschaft, und
wiederum andere spielen entweder mit ihren Freiern oder mit Kolleginnen
Poolbillard. Als einige bemerken, dass ich solo bin, werde ich sofort von
ungefähr acht bis zehn dieser braungebrannten Bikinibomben angesprungen!
Fluchtartig verlasse ich dieses gefährliche Gelände. Die wollen alle nur mein
Geld! Schnell zurück ins Hotel. Komisch, ein derartiger Erfolg bei Frauen ist
mir in Deutschland nie beschieden!
Teil zwei des Tagebuchs wird verfasst, und um
23:15 ist es sowieso wieder höchste Zeit fürs Bett. Morgen beginnt das Turnier
und ich muss unbedingt in den richtigen Zeitrhythmus kommen. Den Wecker stelle ich auf 8:00.
Montag, 11.04.11:
Um 4:45 wache ich kurz auf. Es ist mucksmäuschenstill und stockfinster. Das
sind beste Voraussetzungen für eine gute Erholung. Nach einigen Minuten falle
ich zum Glück wieder zurück in den Schlaf, bis der Wecker mich um 8:00 in die
Realität zurückholt. Ich fühle mich, als sei es 3:00 morgens. Eine weitere
halbe Stunde des Dösens muss einfach sein, ehe ich mich auf zwei Beine zwinge.
Für die Außenminister dieser Welt habe ich große Hochachtung übrig. Hätte ich
ein solches Amt inne, würde ich mich über eine schnelle Abwahl außerordentlich
freuen! Wie soll man diesen ständigen Rhythmuswechsel auf Dauer aushalten?
Benebelt wackle ich zum Frühstücksbüfett im Erdgeschoss. Das Angebot weckt
wenigstens zum Teil meine Lebensgeister. Ich stärke mich mit thailändischem
Gemüse und einer bunten Obstauswahl.
Dazu gibt es exzellenten Schwarztee.
Um 10:00 treffe ich in der Lobby eine Reiseleiterin meines Veranstalters. Die
Thailänderin spricht fließend Deutsch und scheint sehr erfahren zu sein. Unter
anderem erkundige ich mich nach einigen Ausflügen ins Umland, die allerdings
erst in der zweiten Woche, nach Beendigung des Turniers, relevant werden.
Das Tagebuch wird auf den neuesten Stand gebracht, bevor ich mich aufraffe, ins
Dusit Thani herüber zu laufen. Gleich in
der Lobby werde ich an einem Tisch von zwei Mitgliedern der Organisation
empfangen. Beide sind von ausgesuchter Freundlichkeit. Mein Name ist
registriert, ich unterschreibe, und alles ist erledigt. Mir wird der Weg zum
Spielsaal gewiesen, falls ich einen ersten Blick hineinwerfen will. Und ob ich
will! Auf dem Weg dorthin sehe ich Nigel Short zusammen mit seiner griechischen
Frau sitzen. Ich kann mich noch gut an seine launigen Kommentare in Gibraltar
erinnern, gespickt mit britischem Humor.
Der Spielsaal ist beeindruckend. Alle Stühle sind mit weißem Tuch bespannt, und
selbstverständlich sind die Figuren bereits komplett aufgebaut. Das Ganze macht
einen edlen Eindruck. Ich überlege ernsthaft, trotz der unerträglichen Hitze
eine Jacke mitzunehmen, denn es herrschen ähnliche Temperaturen wie gestern in
den diversen Drogerien.
Ein Verantwortlicher aus dem Organisationsteam erzählt mir, dass erwogen wird,
das Turnier im nächsten Jahr in Chiang Mai, dem Zentrum in Norden des Landes,
auszutragen. Zur Debatte steht auch Phuket. Nun gut, zunächst einmal spiele ich
hier in Pattaya.
Gegen 11:30 bin ich wieder im Hotel, nassgeschwitzt und wie üblich klebend.
Eine kurze Dusche schafft Abhilfe. Heute scheint die Sonne, was einen
Aufenthalt draußen noch unerträglicher macht. Deshalb verschiebe ich meine
Poolpremiere. Außerdem bin ich schon wieder so müde, dass ich stehend
einschlafen könnte. Ich werfe meine guten Vorsätze über Bord und lege mich doch
hin. Lieber jetzt schlafen als während der Partie!
Während meines kurzen Anmarsches hinüber zum Hotel Dusit Thani, begegne ich
einem Thai in der Uniform seines Sicherheitsunternehmens. Oder ist er von der Stadt
Pattaya? Als er mich sieht, nimmt er jedenfalls sofort Haltung an und
zelebriert den Soldatengruß! Im ersten Moment weiß ich gar nicht, wie ich
reagieren soll. In T-Shirt und Jeans kann ich schlecht zurück salutieren! Also
belasse ich es als Respektbekundung bei einem freundlichen Lächeln und einem
angedeuteten Diener.
Um 14:45 treffe ich Anton im Turniersaal.
Angesichts der arktischen Temperatur hat er sich kurzerhand ein langärmeliges
Hemd gekauft. Trotz 35° Außentemperatur ist eine Eskimoausrüstung in der Tat
hilfreich! Auch ich habe wohlweislich meine langärmelige Jacke mitgebracht und
trage sie später während der gesamten Partie.
Wir tauschen uns angeregt aus, denn seit der
Verabschiedung am Flughafen in Bangkok haben wir uns nicht mehr gesehen. Das
Hotel der Ammerseer ist bestens, im Prinzip genauso wie bei mir. Allerdings
musste eine Kaution über 500 Baht hinterlegt werden. Dies wurde eingeführt,
seit auch hier die Russen ihr Unwesen treiben.
Die Unsitte, fast das gesamte Frühstücksbüfett abzuräumen und nach draußen
mitzunehmen, ließ nicht nur dieser Hoteldirektion keine Wahl. Wer das Frühstück
im Frühstückssaal verzehrt, bekommt das Geld selbstverständlich am Ende der
Reise wieder zurück. Es ist traurig, dass eine solche Maßnahme notwendig ist.
In meinem Hotel gibt es zum Glück keine Russen.
Satte 34 angemeldete Teilnehmer des Openturniers sind nicht erschienen, sodass
schließlich nur 141 Spieler an den Start gehen. Für das Challenger
Turnier sind 75 Spieler angemeldet. Merkwürdigerweise spielen in der
Turnierleitung die Finnen eine Hauptrolle. Sowohl der Turnierdirektor, Antons
erster Gegner, als auch der Hauptschiedsrichter kommen aus dem Land der
Skispringer und Langläufer. Sicher haben diese Herren für die heimatlichen
Temperaturen im Spielsaal gesorgt!
Zwar habe ich schon stärkere
Opens mitgespielt (Rijeka, Zürich, Gibraltar), aber was die Fürsorge und
den Service für die Spieler angeht, bietet Pattaya eine neue Dimension. Jeder
sitzt bei besten Lichtverhältnissen an einem großen Tisch, an dem bequem zwei
Bretter Platz hätten.
Hotelboys laufen während der gesamten Runde
durch den Turniersaal und versorgen die Spieler mit Wasser. Kaum hat einer
einen Schluck aus seinem Glas genommen, schon wird aus der großen Kanne wieder
aufgefüllt! Und wenn man den Saal seitlich durch eine große Flügeltür Richtung
Toilette verlassen muss, wird den Spielern auch diese „Arbeit“ abgenommen.
Freier Durchgang zum Klo! Vor dem Toiletteneingang steht dann ein weiterer Boy
und wacht darüber…, ja worüber denn? Eine sinnvolle Funktion dieses Postens
kann ich bisher nicht ausmachen.
Für alle Teilnehmer wurden zur ersten Runde
große Namensschilder mit aufgedruckter Fahne, Länderkürzel und ELO-Zahl
vorbereitet. Dazu stehen pro Paarung die jeweiligen Länderflaggen auf dem
Tisch. Das sieht aus wie bei WM-Kandidatenmatches oder
Top-Großmeisterturnieren! Zudem gibt es extra
Brettnummernschilder mit der Aufschrift „Thailand Open 2011“.
Offiziell soll das Turnier um 15:00 eröffnet werden. Eine Viertelstunde später
ist es dann so weit. Der „Finne Nr. 1“ sagt, was gesagt werden muss. Mit einer
Schweigeminute wird der Opfer der Katastrophe in Japan gedacht. Eine schöne
Geste, wie ich finde. Die Schiedsrichtercrew wird vorgestellt, und um Punkt
15:30 und keine Sekunde später wird die erste Runde gestartet.
Meine Wenigkeit hat es mit einem Australier
zu tun, der 2240 ELO-Punkte auf die Waage bringt. Das sind satte 369 Punkte
Differenz zu mir. Ich habe Weiß. Moderne Verteidigung kommt aufs Brett. Wir
führen die ersten Züge aus, und als der Aussie nach
ein paar Zügen erstmals vom Brett weggeht, um ein paar Fotos zu machen, fällt
mir auf, dass wir beide zwar fleißig auf die Uhr gedrückt haben, aber die Uhr
nicht eingeschaltet ist! So kann die beste Uhr nicht laufen. Ich schalte die
Uhr also ein, und die Partie nimmt ihren Lauf. Ich komme gut aus der Eröffnung,
gerate dann aber unter Druck. Nach einer Befreiungsaktion
und der damit verbundenen Abtauschorgie entsteht ein
Leichtfigurenendspiel mit je fünf Bauern. Die Konstellation Läuferpaar auf
australischer Seite gegen Läufer und Springer ist bereits nach 27 Zügen
erreicht.
Ich leiste guten Widerstand, aber die Zeit wird knapp. Hier herrscht eine Bedenkzeitregelung, die mir nicht sonderlich entgegenkommt.
Ich mag es gerne länger, gerade um mal ein schönes Endspiel „kneten“ zu können,
aber hier gilt 90 Minuten für 40 Züge zuzüglich 30 Sekunden pro Zug ab dem
ersten Zug, also ohne zusätzliche Zeit nach der Zeitkontrolle. Bis in die
Blitzphase kann ich das Gleichgewicht ungefähr halten. Längst befinden sich
beide Akteure in der zeitlichen „Todeszone“. Keiner hat mehr als etwa 90
Sekunden Restbedenkzeit.
Mein Brett ist von einer Zuschauertraube
umlagert, denn es ist die allerletzte Partie des Tages! An einer Stelle habe
ich noch 4 Sekunden, ehe ich meinen Zug ausführe. Dann sind es wieder 34
Sekunden. Mit einem Springeropfer beseitige ich seine letzten beiden Bauern.
Mit zwei Läufern gegen einen Läufer und einen Bauern kann er nicht gewinnen.
Das sieht auch der Mittfünfziger aus Down under ein
und schlägt selbst etwas mürrisch Remis vor, was ich natürlich sofort
annehme.
Noch nie habe ich gegen einen derart starken Spieler etwas Zählbares
herausgeholt. So kann es weiter gehen!
Bei Anton läuft es nicht so erfolgreich. Mit Weiß nimmt er ein Bauernopfer des
Finnen an, der dafür aber Initiative erlangt und diese in starken Angriff samt
Sieg verwandelt.
Anton findet den Absprung aus dem Hotel nicht, da ihn meine Zeitnotschlacht an
den Turniersaal fesselt. Erst nach Partieende bemerke ich ihn. Wir analysieren
im großzügigen Analyseraum, ehe wir uns gemeinsam auf die Suche nach „seinen“
Frauen machen. Zunächst wählen wir die falsche Richtung, vorbei an einer der
zahllosen Bierbars, gut gefüllt mit Mädels, die nach Kundschaft suchen. Eine davon
packt mich grob am Arm und will mich in den Laden zerren. Ich reiße mich los
und erhöhe etwas das Tempo, um dieser Furie zu entgehen. Es besteht aber kein
Anlass zu ernster Sorge. Beschützer Anton ist einsatzbereit!
Die Ladies hier sind richtig lästig. Man merkt, dass es ihnen ausschließlich
ums Geld geht. Hinzu kommt, dass derzeit nicht genug alleinstehende männliche
Touristen in der Stadt sind. Die Hauptsaison ist vorbei. Im Idealfall schnappen
sie sich einen Farang („Ausländer“) für immer und
folgen ihm ins Land seiner Herkunft. Beliebt bei den Girls sind aber auch all
die zahlreich vorhandenen Idioten aus aller Herren Länder, die teilweise
jahrelang (!) nach ihrer Heimkehr Geld nach Thailand schicken und die gesamte
Großfamilie durchfüttern, die nicht selten aus zehn und mehr Personen besteht.
Das Gesetz Nr. 1 lautet demnach: Verliebe Dich nie in eine Thai!
Im Grunde genommen ist Pattaya ein riesiger
Freiluftpuff. Das Zentrum der Rotlichtaktivitäten liegt dabei in Südpattaya,
mit der berühmten Walking Street als „Höhepunkt“. Dort reihen sich mehr als
fünfzig solcher Anmachschuppen aneinander.
Prinzipiell gibt es zwei Arten, sich ein Mädel zu schnappen. In Variante A
sucht man sich die Dame seiner Wahl in einer Bar aus. Will man sie „mit nach
Hause“ nehmen, also ins Hotelzimmer, wird eine sogenannte „Barfine“
fällig, eine Gebühr, die an die Bar gezahlt werden muss, da das Mädel in der
Zeit ihrer Abwesenheit ihrem Etablissement nicht zur Verfügung steht. Hinzu
kommt natürlich der Preis für das Girl selbst (Shorttime = eine Stunde, Longtime = ganze Nacht) sowie eine Pauschale, die manche
Hotels dafür erheben, dass das Zimmer von zwei Personen bewohnt wird.
In Variante B posieren hunderte Mädchen in einem geschlossenen Gebäude hinter
großen Glasscheiben, jede mit einer Nummer versehen. Wenn „Mann“ fündig
geworden ist, meldet er sich bei einer oder einem Verantwortlichen („Mamasan“ oder „Papasan“), nennt
die Nummer, und die Dinge nehmen ihren Lauf. Hier fallen Barfine
und Hotelgebühr weg, da alles an Ort und Stelle stattfindet. Das Geschäft ist
hier richtig industrialisiert. FURCHTBAR!
So, nun ist aber Schluss mit diesem Thema. Dies ist
nach wie vor ein Tagebuch vom Thailand-Schachopen 2011 und kein Report über
Pattayas Rotlichtmilieu!
Anton hat für seine Lieben spottbillige
SIM-Karten fürs Handy gekauft, die nun ihren wertvollen Dienst tun. Zunächst
haben wir nämlich Probleme, einander zu finden. Nach mehreren
Telefonkonferenzen treffen wir uns schließlich in einem Lokal direkt an der
Beach Road, also am Meer. Im Gegensatz zu Anton ist meine Laune nach der tollen
Partie natürlich bestens, aber ich denke, er hat seine Null ganz gut
weggesteckt.
Wir verbringen einen netten gemeinsamen Abend, der danach für die anderen mit
Shoppen fortgesetzt wird. Ich will morgen früh um 9:00 fit am Brett sitzen und
trenne mich deshalb zu christlicher Zeit vom Rest der Truppe. Außerdem habe ich
die Zeitverschiebung immer noch nicht verarbeitet, und morgen stehen gleich
zwei Runden gegen schwere Gegner an.
Das 7-rundige Challenger Turnier, an dem Antons
Tochter Simone teilnimmt, beginnt erst morgen Nachmittag.
Punktestand:
Anton: 0/1, Stefan: 0,5/1.
Dienstag, 12.04.2011:
Wieder wache ich gegen 5:00 morgens kurz auf, kann dann aber zum Glück bis
um 8:00 weiterschlafen. Im Frühstückssaal muss ich zwangsweise hässliche
Touristen betrachten, die ungehemmt ihr welkes Fleisch zur Schau tragen. Viel
wichtiger ist jedoch, dass ich einigermaßen fit bin, denn ich muss gegen Daniel
Contin, einen Internationalen Meister aus Italien,
antreten. Für einen IM hat er eine erstaunlich niedrige ELO von 2316. Für mich
sollte es aber trotzdem reichen.
Abgehetzt erscheine ich zwei Minuten nach
Rundenbeginn. Meine Uhr läuft bereits. Das Frühstück hat sich doch länger
hingezogen. Ich begrüße den Italiener, führe meinen ersten Zug aus, sage laut
vernehmlich „J’Adoube“ und rücke meine Figuren
zurecht, die ziemlich ungeordnet auf den Felderrändern
stehen. Da braust der Italo-Macho auf und weist mich in gebrochenem Englisch
lautstark und für die anderen störend darauf hin, dass ich dies gefälligst auf
meine Zeit tun soll und nicht auf seine. Dies würde gegen die Regeln verstoßen.
Dann führt er seinen nächsten Zug aus und fordert mich auf, jetzt meine Figuren
zurecht zu rücken. Diese waren jedoch schon
zurechtgerückt, aber damit der Südländer bekommt, was er bekommen will, rücke
ich pro forma den einen oder anderen Bauern noch einmal zurecht. Meine Freude,
gegen einen Titelträger spielen zu dürfen, ist nach drei Zügen verpufft. Formal
hat er natürlich Recht, da gibt es keinen Zweifel. Aber muss er sein Anliegen
derart explosiv und aggressiv kundtun? Das ist unangemessen.
Er spielt Rèti mit Doppelfianchetto und setzt dann seltsam fort. Ohne Not
bringt er seine Dame am Königsflügel in Bedrängnis. Ich behandle die Stellung
eine ganze Weile völlig richtig und halte das Gleichgewicht aufrecht. Als es
dann aber taktisch wird, versage ich, weil ich den möglichen Gegenschlag nicht
sehe. Zudem lasse ich mich von Titel und ELO-Zahl beeindrucken.
Aber selbst danach sind meine Remischancen voll
intakt und sehr konkret, doch dann werfe ich die Partie mit einem Zug weg!
Diese Partie zeigt, dass auch Titelträger nur mit Wasser kochen und mal einen
schwachen Tag erwischen können. So eine große Chance, gegen einen IM ein Remis zu erspielen, kommt so schnell nicht wieder.
Während der Partie bemerke ich, dass der linke Bügel meiner Brille gegen
Kurzsichtigkeit lose neben dem restlichen Gestell auf dem Tisch liegt. Na Prost
Mahlzeit! Immerhin liegt die winzige Schraube, die den Bügel mit dem Gestell
verbindet, gleich daneben. Sorgfältig wickle ich das Teilchen in ein
Tempotaschentuch. Nach der Partie eile ich ins Hotel, um zu fragen, wo ich hier
einen Optiker finden kann, der den Makel behebt. An der Rezeption versichert
man mir: „There
are many optical shops who
can do it!“.Das ist ja
schon mal eine Aussage. Ich will aber exakt wissen, wo der nächste Laden ist,
denn die Sucherei bei dieser Hitze ist so unangenehm wie zeitraubend. Eine der Rezeptionistinnen erklärt mir, ich solle auf eine der
beiden Straßen stadtauswärts gehen, Einen konkreten Straßennamen erwähnt sie
nicht. Unvorsichtigerweise gebe ich mich mit dieser vagen Aussage zufrieden und
erwische prompt die falsche der beiden Möglichkeiten.
Zwar sind die Straßennamen im Stadtplan alle eingezeichnet, aber es gibt keine
Straßenschilder. Insofern nützt ein Stadtplan kaum etwas. Wären nicht die
wichtigsten Hotels eingezeichnet, könnte man einen solchen Plan komplett
vergessen. Nachdem ich also festgestellt habe, dass ich in „Straße 1“ falsch
bin, kehre ich um, laufe zurück zum großen Kreisverkehr und biege in die zweite
Straße ein, die ebenfalls aufwärts führt, was die Anstrengung steigert. Nach
ungefähr 800 Metern ist die Erleichterung groß. In kaum übersehbaren hellblauen
Lettern prangt das Wort „Optical“ über einer Ladentüre.
Ich überquere die vierspurige Straße, was große Aufmerksamkeit erfordert, denn
es gibt grundsätzlich keine Fußgängerüberwege. Das höchste der Gefühle sind
Zebrastreifen, was aber lange noch nicht heißt, dass die Autos dort halten. Das
ist nichts für Fußlahme, und wahrscheinlich ist das
der Grund, warum man auf den Straßen kaum ältere Leute sieht, Die wurden wohl
alle schon umgefahren!
Ich betrete also den Brillenladen, in dem kein Kunde weilt, dafür aber zwei
bildhübsche Thailänderinnen mit kaum steigerbarem Charme! Beide sind in
schicke, hellblaue Kostüme gesteckt, offensichtlich die
Firmenfarbe dieses Brillengeschäfts. Ich packe meine zweiteilige Brille samt Schräublein aus und erkläre mein Unglück. Ein Schwall von
Anteilnahme schwappt mir entgegen, und sofort macht sich die eine ans Werk,
während ich mit der anderen Smalltalk halte.
Nach kaum zwei Minuten hat sie ihr Werk vollbracht. Die Brille besteht wieder
zusammenhängend aus einem Teil! Sie wollen wissen, wie oft ich schon in
Thailand war. Ich sage, dass es das erste Mal ist, und dass ich an einem „Chess
Tournament“ teilnehme. Diesen Begriff verstehen sie
zunächst nicht. Ich wiederhole also und die eine meint: „Ah, Jetski!“ „No“, lache ich
innerlich, „not Jetski, Chess!“ Ich deute auf König,
Springer und Bauer auf meinem Bobby Fischer T-Shirt, das ich trage. Da dämmert
es den beiden Hübschen, auch wenn sie sich unter Schach nicht wirklich etwas
vorstellen können.
Übrigens nehmen sie kein Geld für die
erbrachte Dienstleistung. Kurz darauf ist der traurige Moment des Abschieds
gekommen. Ich sollte glatt eine Sonnenbrille kaufen, nur um meinen Aufenthalt
in diesem Geschäft zu verlängern!
An der überdachten Poolbar meines Hotels gönne ich mir einen leichten Salat und
einen köstlichen Ananas Cocktail. Gleich im Anschluss geht’s ab ins Zimmer.
Dort gebe ich die Partie ein und lasse mir vom Rechenknecht meine begangenen
Fehler zeigen. Auf den Mittagsschlaf verzichte ich erstmals, weil ich mich ganz
gut fühle und endlich die Probleme mit der Zeitverschiebung überwinden möchte.
Urplötzlich wird es verdächtig dunkel und ehe ich mich versehe, fängt es
sintflutartig an zu regnen. Das Nass fällt wie eine Wand vom Himmel, denn es ist
windstill. Nach drei Minuten ist der Spuk vorbei.
Kurz kommt die Sonne heraus, um dann abermals
blitzartig zu verschwinden und erneut den Regenwolken Platz zu machen. Dieses
Schauspiel wiederholt sich zwei weitere Male. Leider kühlt es dadurch nicht ab.
Der einzige Effekt ist, dass sich der Grad der ohnehin schon hohen
Luftfeuchtigkeit weiter erhöht. Nur in geschlossenen Räumen halte ich das aus.
Ich habe mir angelesen, dass der April einer der heißesten Monate des Jahres
sein soll. Das war wieder mal ein perfektes Timing, genau jetzt dorthin zu
reisen! Aber was will ich machen, wenn das Turnier just im April stattfindet?
Anton ist nicht aufgetaucht. Ich mache mir Sorgen und überlege mir, was alles
passiert sein könnte. Hat er vielleicht verschlafen, oder hat er etwas Falsches
gegessen? Hatte sein Taxi eine Panne? Die Lösung ist viel einfacher, aber
unerfreulich: Anton hat ein Freilos erhalten, was er zum Glück rechtzeitig im
Internet gelesen hat! Da fliegt man um den halben Erdball, will Schach spielen
und bekommt dann ein Freilos. Das ist hochgradig ärgerlich!
Zudem erhält er nicht wie üblich einen ganzen Punkt zugesprochen, sondern
lediglich einen halben. Es wird die „Bye-Regelung“ angewendet, als ob sich ein
Spieler freiwillig eine Auszeit nehmen würde. Dies ist Anton aber gar nicht
unangenehm, denn so bekommt er in der 3.Runde keinen zu starken Gegner.
Erstmals ist Simone mit von der Partie. Wie mutig von ihr, sich diesem aus
ihrer Sicht doch übermächtigen Teilnehmerfeld zu stellen. Ich habe es mit einem
jugendlichen Inder zu tun. Nach meiner Schätzung ist er nicht älter als 14.
Alles scheint ihm so locker und leicht von der Hand zu gehen. Er verbraucht
wenig Bedenkzeit, während für mich jeder Zug eine Mühsal ist. Dabei kommt ein Rossolimo-Sizilianer aufs Brett.
Dummerweise lasse ich mir einen rückständigen c-Bauern verpassen. Danach blitzt
er es fast herunter, während ich nicht mehr in der Lage bin, ernsthaften
Widerstand zu leisten. Er spielt deutlich stärker als seine angegebenen 2016.
Diese Partie hake ich einfach ab. Auch die Enttäuschung über die verpasste
Chance in der Vormittagspartie schwingt noch mit.
Als ich nach etwa eineinhalb Stunden nach Anton und Simone schauen will, sind
beide Bretter bereits verwaist. Ergebnisse sind nicht auszumachen. Da Antons
Gegner eine klar höhere ELO aufweist, gehe ich davon aus, dass er schnell
verloren hat. Nach dieser Rechnung hat er wie ich einen halben Punkt aus 3
Partien. Den ganzen Abend hoffe ich inständig, dass wir nicht gegeneinander gelost werden. Das wäre der Super-GAU!
Lustlos stochere ich in meinem Essen in einem der zahllosen Straßenrestaurants
herum. Früh kehre ich ins Hotelzimmer zurück und trage die Partien ins
Partieheft ein. Danach folgt die Analyse der Nachmittagspartie. Schwamm drüber…
Just als ich gegen 23:30 ermattet auf die Matratze sinke, schalten meine neuen
Zimmernachbarn den Fernseher ein und zwar so laut, dass ich die Sprache
verstehe. Es ist ein Thai-Sender. Gut, dass ich auf den Mittagsschlaf
verzichtet habe, denn so bin ich derart müde, dass mich nichts mehr vom
Tiefschlaf abhalten kann.
Punktestand:
Anton 1,5/3, Stefan: 0,5/3, Simone: 0/1.
Mittwoch, 13.04.11:
Diese Doppelrunden gleich zu Turnierbeginn, wenn man die Zeitumstellung noch
nicht bewältigt hat, sind schon anstrengend. Ich werde der Turnierleitung den
Vorschlag machen, das Programm zu strecken und die beiden Doppelrunden bei
künftigen Austragungen auf die zweite Wochenhälfte zu verschieben, um die
Spieler nicht so zu belasten. Wieder hetze ich in Richtung Dusit Thani, um
diesmal wirklich pünktlich am Brett zu sitzen, was fast gelingt. Wenige
Sekunden nach der Rundeneröffnung treffe ich an Brett 61 ein. Ron Hoffman, ein
Holländer, ist mein Gegner. Da ich Schwarz habe, läuft seine Uhr. Er ist noch
nicht da, sodass mir etwas Zeit bleibt, bei Anton vorbeizuschauen.
Er hat gestern Nachmittag nicht etwa verloren, sondern gewonnen! Meine Furcht,
gegen ihn ausgelost zu werden, war also unbegründet. Sein Gegner aus „Good old England“ hatte flugs
zwei Bauern gewonnen, wurde überheblich, schaute nicht mehr genau hin, während
Anton an einem fragilen Mattnetz bastelte, in dem der
Brite sich bald darauf prompt verfing!
„Mein“ Holländer, ein junger Bursche mit weißem, langärmeligem Hemd und einer
ELO von 2110, erscheint am Brett, nachdem 12 Minuten seiner Zeit abgelaufen
sind. Er kommt von einem anderen Tisch, an dem er sich fälschlicherweise
niedergelassen hat! Und nicht nur das, er hat die Partie gegen den Spieler, der
an diesem Brett saß, bereits begonnen! Erst als dort der „richtige“ Gegner
erschien, fiel der Fehler auf. Überall auf der Welt gibt es zerstreute
Schachspieler!
Wieder kommt die Rèti-Eröffnung aufs Brett, und auch
der Niederländer fianchettiert seinen Damenläufer. Von Anfang an stehe ich
etwas schlechter, kann also keinen Ausgleich erzielen. Allerdings habe ich nur
eine Schwäche und nicht mehrere. Er kommt mir nicht entscheidend bei, und da er
auch nicht fehlerfrei spielt, erreiche ich durch solides Spiel im 31. Zug eine
ausgeglichene Stellung.
Die Zeit ist schon wieder verflucht knapp, und genau in diesem Moment mache ich
einen unbegreiflichen Harakirizug! Ich bringe mich in
der Tat selber um, anstatt einfach still zu halten und „nichts“ zu tun. Es gibt
keine Einbruchsfelder, alles ist gedeckt, ich bin nicht in Zugzwang, und er
kann seine Stellung nicht entscheidend verstärken. In dieser Situation helfe
ich mit einer katastrophalen Stellungsöffnung entscheidend nach und bringe mich
einmal mehr um die Früchte meiner Arbeit.
Wenn ich diesen Unfug dauerhaft ablegen könnte, hätte ich glatt 200
ELO-Punkte mehr, mindestens!
Mein Ärger in der darauffolgenden Kurzanalyse steigert sich noch, als ich
feststelle, dass er offenbar nicht besonders viel von der Stellung versteht.
Seine Anmerkungen sind an mehreren Stellen einfach falsch.
Auf der Straße vor dem Hotel treffe ich Anton samt Simone. Beide haben
verloren. Während sie heim ins Hotel will, bevorzugt Anton, die Mittagspause in
Pattaya zu verbringen. Als Kompromiss landet Simone im Taxi nach Jomtien,
während Anton und ich zum Mittagessen einkehren. Er zeigt mir seine
Verlustpartie vom Vormittag gegen einen US-Boy. Auch hier wäre deutlich mehr
drin gewesen.
Wenigstens hat er seine Partie nicht mit einem einzigen Fehlzug
weggeworfen. Es ist erst 13:45, und da ich schon während der Partie mit den
Augen gerollt habe und ich tatsächlich kurzzeitig am Brett eingeschlafen bin,
trenne ich mich von ihm, um Siesta zu halten.
Klima und Doppelrunde fordern ihren Tribut.
Diese Stunde tat richtig gut, und mit frischen Kräften trete ich ans Brett 68.
Gegner ist ein skurriler, leider ELO-loser Franzose, der mich als erstes fragt,
wie ich denn zu meinem bislang einzigen halben Punkt gekommen sei. Ich sage
ihm, dass dieses Remis aus der ersten Runde stammt. Er jammert, dass er bisher
am Brett alles verloren hat und sein einziger halber Punkt aus der kampflosen
dritten Runde resultiert.
Er stört mich beim Ausfüllen des Partieformulars, als die Partie bereits
begonnen hat. Beispielsweise greift er sich mein Formular, während meine Uhr
läuft und trägt dort seinen Namen ein. Zudem moniert er, dass ich meine ersten
beiden Züge noch nicht notiert hätte. Im Gegensatz zu dem Italiener aus Runde
zwei verhalte ich mich ruhig, trage rasch die beiden Züge nach und konzentriere
mich auf die Partie.
Wieder habe ich Schwarz und wieder kommt Rèti mit Doppelfianchetto aufs Brett. Haben sich all meine
Weiß-Gegner untereinander abgesprochen? Das ist nun schon das dritte Mal! Der
harmlose Spinner, so schätze ich ihn jedenfalls nach wenigen Minuten ein,
spielt die Eröffnung à-Tempo. Kein Wunder, dass er bislang alles verloren hat.
Nach 11 Zügen gewinne ich einen Bauern, stelle mich danach aber ziemlich
dämlich an, diesen Freibauern zu aktivieren. Bis zum Schluss kann er meinen
b-Bauern auf b7 halten.
Die Stellung ist lange ausgeglichen, trotz dieses Mehrbauern. Auf der Suche
nach dem richtigen Plan verbrauche ich viel Zeit, während er die Partie
praktisch herunter blitzt. Meine Nervosität und die Angst vor einem Remis
„gegen den“, steigt. Doch dann setzt er seinen König
in Bewegung. Dieser wandert über das gesamte Brett von g1 bis nach b7, erobert
dort meinen Bauern, mit dem ich eigentlich gewinnen wollte, läuft dort
allerdings in ein Hilfsmatt, das er wahlweise auf b5 oder c8 haben kann. Er
sucht sich Letzteres aus. Bei der abendlichen Analyse stellt sich heraus, dass
er in einem Moment sogar auf Gewinn stand! Oh Gott – nicht auszudenken!
Simone hat ihr erstes remis ergattert. Trotzdem ist sie nicht restlos
zufrieden. Nach ihren Worten war mehr drin. Nun gut, bei diesem Turnier hängen
die Trauben verdammt hoch.
Ich versuche, etwas Turnieratmosphäre aufzuschnappen, was nicht so recht
gelingen mag. Durch die Bedenkzeitregelung sind die
meisten Partien relativ kurz, sodass nach Beendigung meiner Spiele meist nur
noch wenige Duelle laufen. Der Analyseraum im ersten Stock über dem Turniersaal
ist meist verwaist. Kaum einer verirrt sich dorthin, nicht nur wegen der
anfänglichen Doppelrunden, auch die Analysekultur scheint hier nicht sehr
ausgeprägt zu sein.
Ich trolle mich also und beginne sofort mit der Eingabe samt Analyse meines
heutigen Wunderwerkes. Ziel ist es, die Sache in maximal einer Stunde
abzuhandeln, dann aber findet Rybka so viele
interessante Züge und Analysen, dass ich mich mehr als drei Stunden mit meinem
Gewürge befasse. Gleich im Anschluss hole ich teilweise meinen
Tagebuchrückstand auf, ehe ich mich gegen Mitternacht niederlege. Doch bei
diesem Vorhaben habe ich die Rechnung ohne meine neuen Zimmernachbarn gemacht.
Schon am Vorabend lärmten sie ziemlich, kurioserweise erst ab 23:30.
Während gestern mein Schlaf stärker war, finde ich heute durch den
Mittagsschlaf keine Ruhe. Der Fernseher, der direkt an meiner Zimmerwand steht,
ist einfach zu laut. Um 0:45 gebe ich meine Einschlafbemühungen auf und lese
eine halbe Stunde lang in dem informativen Büchlein über Thailand, das mir die
Reiseleiterin bei der Ankunft ausgehändigt hat.
Ich habe die Hoffnung, dass die Leute neben
mir irgendwann müde werden und sich zur Ruhe begeben. Falsch gedacht. Eher
steigt der Lärmpegel noch, denn jetzt setzen auch noch Türenknallen
sowie laute Diskussionen ein! Was machen diese Typen tagsüber, dass sie mitten
in der Nacht noch so viel Energie übrig haben?
Um 1:15 wird es mir zu dumm. Ich klopfe mit
meiner rechten Hand gegen die Wand. Reaktion: keine. Danach greife ich meinen
rechten Hausschuh um damit mein Anliegen nach Ruhe zu untermauern. Wieder
nichts. Dann plötzlich rührt sich etwas und zwar auf dem Balkon!
Ein Mann mault laut in einer mir unbekannten Sprache herum, gerade so, als ob
ich ihn gestört hätte! Ich eile zur Balkontüre, öffne diese, trete aus dem
Zimmer und weise auf Englisch darauf hin, dass es halb zwei in der Nacht ist
und er doch bitte den Fernseher ausschalten solle. Dabei spreche ich ins
Dunkle, denn zu Gesicht bekomme ich niemanden. Um kurz vor 2:00 ist der
Spuk vorbei, und ich finde endlich Ruhe.
Punktestand:
Anton: 1,5/5, Stefan: 1,5/5, Simone: 0,5/3.
Donnerstag, 14.04.11:
Noch vor dem Frühstück eile ich zur Rezeption, um mich
über meine Zimmernachbarn zu beschweren. Mir wird zugesichert, dass mit den
Leuten gesprochen wird. Ich bin gespannt.
Endlich gibt es nur noch eine Runde täglich! Der Zeitdruck wird sich dadurch
erheblich reduzieren. Nach dem Frühstück laufe ich hinüber ins Hotel Dusit
Thani, um mich über die Auslosung zu informieren. Gegen einen Finnen mit ELO
1836 muss ich antreten. Mit einer konzentrierten Leistung müsste das zu
schaffen sein. Zudem habe ich Weiß.
Zurück im Zimmer schaue ich gleich in der Datenbank nach, habe aber wenig
Hoffnung, Partien von einem Finnen mit derart niedriger Zahl zu finden. Da habe
ich mich aber gewaltig getäuscht. Immerhin ist er mit 37 Partien zwischen 2002
und 2010 vertreten! Und…Welche Eröffnung spielt ein Finne? Natürlich
Skandinavisch! Darauf bin ich gut präpariert, und bald darauf kann ich mich
wieder dem Tagebuch widmen.
Bis um 13:00 sitze ich an dem Text. Dann ist es Zeit für’s
Mittagessen. Ich will mal ein neues Lokal ausprobieren und falle gleich
gegenüber von meinem Hotel in ein Minirestaurant mit gerade mal sieben Tischen.
Unter der Sparte „Thai Food“ suche ich mir eine Speise aus, natürlich in der
Erwartung einer warmen Mahlzeit. Geliefert wird dann aber ein Salat mit
Fleischstückchen! Es schmeckt nicht schlecht, und ich beschwere mich auch
nicht. Wahrscheinlich hat sie es bei der Bestellung einfach falsch verstanden.
Ausgerechnet in dieser Woche läuft das thailändische Neujahrsfest Songkran, auch Wasserfest genannt. Das klingt zunächst
einmal nach nichts Schlimmem. Wenn man aber weiß, dass man von den Thais aus
einer Tradition heraus mit allen möglichen Geräten bespritzt wird, ist das
weniger angenehm, trotz Hitze. Straßenhändler verkaufen Wasserpistolen, lange
„Knüppel“ aus Plastik in allen möglichen quietschbunten
Farben, vergleichbar mit überdimensionalen Luftpumpen und weitere Behälter
aller Art, in die man Wasser einfüllen kann.
Insbesondere, wenn die offenen Taxi-Pick-ups vorbeifahren, muss man sich in
Acht nehmen. In einer Situation erwischt es mich sogar zweimal kurz
hintereinander. Meine Jacke, die ich beim Schachspielen trage, ist komplett
durchnässt und meine Haare sind so nass wie nach einer Dusche! Thailand ist ein
Land der Feste. Die Menschen sind durchweg fröhlich und positiv gestimmt, trotz
weit verbreiteter Armut. Das Feiern lassen sie sich aber nicht nehmen. Was es
allerdings für einen Sinn haben soll, in einem Land, das unter Wasserknappheit
leidet, das kostbare Nass derart zu verschwenden, ist mir schleierhaft.
Auch dort beginnt das neue Jahr offiziell am 1. Januar, aber das alte
thailändische Neujahr wird mit großem Getöse im April gefeiert. Nach
traditioneller thailändischer Jahreszählweise beginnt in diesen Tagen das Jahr
2554. Die Südostasiaten sind uns also genau 543 Jahre voraus, mehr als ein
halbes Jahrtausend!
Zehn Minuten vor Rundenbeginn betrete ich den Saal. Heute geht es schon um
14:00 los, und so bekomme ich endlich mal die Rundeneröffnung durch einen der
Schiedsrichter mit. Offenbar gab es einige Beschwerden von Spielern, die sich
durch die Wasserboys gestört fühlten, die durch den Saal laufen und unablässig
Gläser nachfüllen. Der Thailänder verkündet in ordentlichem Englisch, dass die
Wasserkannenstrategie ein Ende hat und sich jeder selbst aus einem großen
Wasserkanister in einer Ecke des Saals Nachschub holen kann, wenn er nach dem
Leeren des ersten gefüllten Glases weiteren Durst verspürt.
Als die Runde pünktlich freigegeben wird, ist Anton, der direkt am Brett neben
mir spielt, noch nicht anwesend. Auch Simone fehlt. Ich hoffe sehr, dass sie
den früheren Rundenbeginn registriert haben und sich nicht auf halb vier
verlassen, was bislang galt, als die Doppelrunden gespielt wurden. Bei einem
kurzen Seitenblick um ca. 14:20 sitzt er zum Glück am Brett.
Wie erwartet spielt der Finne, der wie der Franzose vom Vortag einen
schrulligen Eindruck macht, Skandinavisch. Durch das mir unbekannte g6 nebst
Lg7, was in diesem System keinen seriösen Eindruck macht, aber durchaus
spielbar ist, entsteht bald eine etwas vorteilhafte Stellung für mich. Anstatt
diese nun ruhig durch weitere Entwicklungszüge auszubauen, lasse ich mich am
Damenflügel zu einer voreiligen Aktion hinreißen und übersehe einen Zug, der
auf meine freiwillig geschaffene Felderschwäche
zielt. Da er zum Glück nicht optimal fortsetzt, verliere ich lediglich das
Läuferpaar.
Die Stellung ist sehr kompliziert, und ich habe Schwierigkeiten, einen
vernünftigen Plan zu finden, zumal mein König auch noch in der Mitte steht. Mit
Glück und Geschick hangle ich mich durchs Mittelspiel. Je länger die Partie
dauert, desto sicherer fühle ich mich. Inzwischen habe ich beim Gegner einen
Turm auf der siebten Reihe eingepflanzt und nenne einen starken Freibauern auf
d5 mein eigen. Selbstsicher meistere ich die Zeitnotphase, wobei ich immer
darauf achte, ein paar Minuten mehr als mein Gegner auf der Uhr zu haben. Durch
einen simplen und unerzwungenen Qualitätsverlust wird
mir die Aufgabe relativ leicht gemacht, jedenfalls bilde ich mir das in der
Partie ein.
Während ich noch etwas mehr als vier Minuten habe, krebst der Finne bereits im
Sekundenbereich herum. In einem Moment passt er nicht auf und lässt die
restlichen Sekündchen ablaufen. Sieg durch
Zeitüberschreitung! Wortlos unterschreibt er die Partieformulare, steht auf und
geht. Leidet er wie viele Nordländer unter Depressionen? Was soll’s, Punkt ist
Punkt. Mit 2,5 aus 6 lässt es sich schon besser leben.
Anton berichtet mir kurz, dass er gleich nach wenigen Zügen durch ein Versehen
eine Leichtfigur eingebüßt hat. Das ist natürlich sehr bedauerlich, wenn man
die Partie derart einfach hergibt. In seinem Hotel in Jomtien, etwa 9 Kilometer
außerhalb, findet abends ein Barbeque statt. Auch
Gäste, die nicht in dem Hotel wohnen, sind zugelassen. Anton macht mir die
Teilnahme schmackhaft. Ich bin unentschlossen, verzichte dann aber, weil mir
der Aufwand mit Hin- und Rückfahrt zu groß ist. Bei dieser Hitze, die auch noch
abends spürbar ist, bin ich zu keiner noch so kleinen Energieleistung bereit.
Oder drastisch ausgedrückt: Ich bin einfach zu faul!
Alleine verfolge ich noch ein spannendes Turmendspiel an einem der anderen
Bretter. Danach schlendere ich gedankenverloren in mein Zimmer und vergesse,
dass ich noch nichts gegessen habe! Nun bin ich aber schon mal zu Hause und
kann mich nicht mehr aufraffen, das Hotelzimmer zu verlassen. Auf die Idee, mir
etwas aufs Zimmer kommen zu lassen, was durchaus möglich ist, komme ich
ebenfalls nicht. Der zerstreute Professor ist einmal mehr in Hochform.
Mit der Idee, die heutige Partie rasch abzuhandeln, setze ich mich vor den
Laptop. Mehr als sechs (!) Stunden später falle ich ins Bett. Was Rybka da alles ausgegraben hat, verschlägt mir die Sprache.
Die Züge und Varianten, die er auspackt, fesseln meine Augen unablässig an den
Bildschirm. Und das Verblüffende dabei ist, dass der Finne in den meisten der
Varianten auf Gewinn steht! Ungefähr jeder zweite Zug von mir war schlecht,
dabei war ich in der Partie von meinen Zügen durchaus überzeugt und fühlte mich
bestens.
So derart krass und häufig habe ich mich wohl
noch nie in Stellungsbewertungen geirrt. An mehreren Stellen hätte Schwarz mir
den Garaus machen können, wobei das in einigen Abwicklungen nicht einmal nach
sieben Zügen zu erkennen ist. Da mein Gegenüber auch nicht gerade
großmeisterlich agiert, und er zudem die ablaufende Zeit vergisst, geht der
Punkt letztlich doch nach Deutschland. Objektiv betrachtet ist es eine
fürchterliche Partie, wie Kinderschach, wo Gewinn und Verlust ebenfalls munter
hin und her wechseln.
Meine Zimmernachbarn haben ganz offensichtlich von der Hotelrezeption Bescheid
bekommen. Der Fernseher läuft zwar ab 22:30 wieder, aber deutlich leiser. Und
zweimaliges Türenschlagen (warum nur?) lässt sich
gerade noch ertragen.
Punktestand:
Anton: 1,5/6, Stefan: 2,5/6, Simone: 0,5/4
Freitag, 15.04.11:
Ich kann diesen Abschaum im Frühstücksraum nicht mehr sehen und beeile mich
deshalb besonders, um diesen Ort möglichst bald verlassen zu können. Ein
Fettkloß hat sogar zwei Thai-Püppchen dabei, die er nun durchfüttern muss.
Wieder gehe ich hinüber zum Turniersaal, um nach der Auslosung zu schauen.
Heute geht es gegen eine Internationale Meisterin (WIM) aus Schweden. Diesen
Titel kann man schon mit einer ELO von 2163 inne haben. Das zeigt einmal mehr
den krassen Spielstärkeunterschied zwischen Männern und Frauen.
Einerseits hat sie gegen zwei starke IMs mit über 2400 ELO jeweils ein Remis
geschafft, andererseits gelang es ihr nicht, gegen zwei 1900er den vollen Punkt
einzufahren. Wenn ich einen sehr guten Tag erwische, was mir bislang nur in der
ersten Runde vergönnt war, ist vielleicht etwas drin. Die bisherigen Partien
geben leider nicht viel Anlass zur Hoffnung. Anton spielt heute gegen „meinen“
Finnen. Ich wünsche mir für ihn, dass er heute konzentrierter zu Werke geht als
gestern, denn ich traue ihm durchaus etwas gegen das Nordlicht zu.
Heute ist es noch heißer als in den letzten Tagen. Nach langsamem, gut
siebenminütigem Fußmarsch ist mein T-Shirt nass. Der Effekt der morgendlichen
Dusche ist restlos verpufft. Ich stelle mich gleich wieder unter die Brause.
Heute wird es bestimmt über 40° Hitze geben.
Wie gestern vervollständige ich mit viel Schreiblust das Tagebuch. Danach
verbleibt noch genügend Zeit, um mich gegen Christin Andersson vorzubereiten.
Gut präpariert verlasse ich mittags das schön gekühlte Zimmer und begebe mich
ein weiteres Mal in die Freiluftsauna. Ich wähle das Lokal, durch das das
kühlste Lüftchen weht. Besonders heute ist dies das wichtigste Kriterium.
Schon um 13:30 treffe ich Anton und Simone im Spielsaal. Er will mir ein Handy
mit SIM-Karte beschaffen, was erstens kaum etwas kostet und zweitens eine
regelmäßige Kommunikation zwischen uns auch nach dem Turnier ermöglicht.
Kurz vor 14:00 trifft meine Gegnerin ein. Sie ist stumm wie ein Fisch. Kurzes
Handshake und los geht’s. Sie spielt tatsächlich Französisch Abtauschvariante mit 4. c4. Normalerweise kann man da als
Schwarzer überhaupt nichts falsch machen. Im Gegenteil, im schlechtesten Fall
hat man da sofort Ausgleich. Mir gelingt es aber innerhalb weniger Züge
ersatzlos einen Bauern einzustellen.
Von Anfang an finde ich überhaupt keinen Zugang zu dieser Partie. Selbst die
simpelsten Variantenberechnungen fallen mir schwer. Alles vor meinen Augen ist
verschwommen. Dabei geht es mir im Prinzip gut. Ich bin ausgeschlafen und habe
die Zeitumstellung verkraftet. Obwohl ich ewig nachdenke, fällt mir nichts
Brauchbares ein. Im 19. Zug lege ich noch einen zweiten Bauern drauf, weil ich
erneut taktisch versage. Und weil es so schön ist, gibt es fünf Züge später
noch einen dritten Bauern gratis dazu! Die Schwedin muss gar nichts tun, außer die in der Gegend herumstehenden schwarzen Bauern vom Brett
zu entfernen. Nach nicht einmal zwei Stunden Spieldauer mache ich dem Schrecken
ein Ende. Sie hat sich für mich gerade mal 33 Minuten Zeit genommen! Ich
entschuldige mich bei ihr für meine Vorstellung. Sie nimmt es zur Kenntnis und
ist im nächsten Moment verschwunden.
Ihr Charmefaktor tendiert gegen Null.
Jetzt kann ich die Turnieratmosphäre genießen, die ich bislang vermisst habe.
Ich schaue bei Short-Gustafsson zu und erlebe mit, wie sich Short in bereits
schlechter Stellung veropfert und nach ein paar
exakten Verteidigungszügen Gustafssons aufgibt. Danach ergattere ich das mir
noch fehlende Autogramm des Siegers.
Anton verliert gegen „meinen“ Finnen ähnlich schnell wie ich gegen die
Schwedin. Er übersieht einen Damenfang. Dafür streicht Simone ihren ersten
vollen Punkt ein! So haben wir jetzt alle drei mindestens einen Sieg. Die
Beiden verabschieden sich Richtung Jomtien.
Bald darauf will ich nichts mehr hören und sehen und haue Richtung
Hotelzimmer ab.
Leere, Frustration, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, keine Lust auf gar
nichts, nicht einmal aufs Schreiben. Am liebsten würde ich sofort abreisen. Ich
lege mich aufs Bett und überlege, wie ich diesen Abend gestalten soll. Das wäre
eigentlich die richtige Gelegenheit, um Frustkäufe zu tätigen (vielleicht ein
paar Polohemden), aber da müsste ich ja um den Preis feilschen, und dazu habe
ich speziell heute überhaupt keine Lust. Und Schach mag ich auch nicht machen.
Tja, da bleibt nicht mehr viel übrig! Wenn ich nur schon schlafen könnte. Aber
es ist erst kurz nach halb sieben.
Nach einer ganzen Weile der Unentschlossenheit mache ich mich doch an ein paar
Schachvideos. Mein Rücken schmerzt erheblich, und auch der Nerv im linken Bein
macht sich durch unaufhörliche Stiche bemerkbar. Zwanzig Minuten Stehen bei
Short-Gustafsson waren schon zu viel! Die Klimaanlage lasse ich ausgeschaltet.
Es ist so laut. Um 23:30 mache ich das Licht aus. Ein Tag zum Vergessen!
Punktestand:
Anton: 1,5/7, Stefan: 2,5/7, Simone: 1,5/5.
Samstag, 16.04.11:
Um 3:30 wache ich nassgeschwitzt auf. Ich habe rasende Kopfschmerzen, der
Rücken und der ganze Unterleib schmerzt unablässig. Das kommt von der massiv
ausstrahlenden Wirbelsäule. Es ist furchtbar stickig, weil die Klimaanlage
nicht arbeitet. Also schwinge ich mich auf und schalte das Ding ein. Nur mit
Mühe kann ich das Gleichgewicht halten. Ich habe ein unangenehmes
Schwindelgefühl und lasse mich gleich wieder ins Bett fallen. Mir schwant
Böses…
Irgendwann zwischen 4:00 und 4:30 finde ich wieder Ruhe, aber um kurz nach 7:00
ist endgültig Schluss. An meinem erbärmlichen Gesundheitszustand bin ich ein
Stück weit selbst schuld. Wie konnte ich am gestrigen Abend nichts mehr
trinken! Nebenbei bemerkt habe ich auch nichts mehr gegessen, als eine Art
„Strafe“ für meine schachliche Leistung. Es ist
tückisch: das Gefühl des Durstes stellt sich bei mir praktisch nie ein.
Trotzdem musste ich gerade hier bei der Hitze sehr gut aufpassen, um nicht zu
dehydrieren. Genau das ist nämlich geschehen.
Ich wanke zum Frühstückssaal und esse mit großer Lust – noch…Dazu gönne ich mir
vier Tassen Tee und einen Ananassaft, in der festen
Überzeugung, dass sich die Symptome in einer Stunde verflüchtigt haben werden.
Da habe ich die Rechnung aber ohne meinen Körper gemacht. Die sieben Minuten
zum Dusit Thani schaffe ich kaum. Zu den zahlreichen Brandherden meines Körpers
gesellen sich auch noch Übelkeit und „flotter Otto“.
Wie ein alter Mann ächze ich, um die Stufen zu meinem Zimmer im 2. Stock zu
erklimmen. Mein Herz rast, als ob ich einen Strandlauf über 15 Kilometer
absolviert hätte. Völlig fertig falle ich ins Bett, kann mich kaum bewegen. Um
10:30 werde ich von furchtbaren Muskelkrämpfen an beiden Füßen (!) geweckt.
Öfter mal was Neues! Eine Entfernung von
2,50 Meter zu überwinden, ist für mich schon eine Leistung. Ungefähr so weit
entfernt steht die Wasserflasche neben meinem Laptop.
Ich hole mir das edle Nass herüber auf den Nachttisch und leere die Pulle
innerhalb weniger Minuten. An meiner Lage ändert sich dadurch aber nichts.
Ermattet liege ich auf meinem „Sterbebett“. Nach einer Weile schlafe ich wieder
ein. Erneut werde ich von Krämpfen geschüttelt. Diesmal ist es etwas
Klassisches: die Waden.
Ich ärgere mich maßlos über mich selbst und überlege mir, was zu tun ist. Soll
ich mich bei der Rezeption melden? Soll ich die Runde um 14:00 absagen?
Inzwischen ist es 12:00. Da kommt mir eine Idee. Vor mir steht seit einer Woche
ein Warmwasserkocher nebst zwei Teebeuteln. So richtig bewusst ist mir diese
Ausrüstung noch gar nicht aufgefallen! Um das Ding anzuwerfen und vier Tassen
Tee zu trinken, brauche ich fast eine Stunde!
Ich beschließe, es mit der 8. Runde zu versuchen, obwohl ich mich hundeelend
fühle. Heute gehe ich in ein „German-Schnitzel“-Lokal, in der Hoffnung, jemand
zu finden, der deutsch spricht und mir etwas Leichtes in der Küche zaubert. Das
war deutlich zu optimistisch gedacht und zeigt, wie groß meine Verzweiflung
ist. Wie in allen Lokalen kommt eine Thai auf mich zu und überreicht mir die
Karte. Sie spricht schlecht englisch, und ich bin nicht in der Lage, ihr meinen
Wunsch verständlich darzubringen. Also bestelle ich erst einmal einen schwarzen
Tee.
Um mich herum sitzen Bild-Zeitungslesende, tätowierte Fettbäuche, und aus dem
TV-Bildschirm dröhnt das Formel 1-Training aus China. Noch schlimmer wird meine
Übelkeit aber, als ich beginne, die Karte zu lesen. Bratwurst mit Sauerkraut,
Leberkäse mit Ei, Cordon bleu paniert mit Pommes. Ich
lege das Werk zur Seite und entscheide, beim Tee zu bleiben, sonst muss ich
mich noch im Lokal übergeben.
Heute muss ich gegen einen 11- oder 12-jährigen Thai-Jungen ran. Schon vorher
ist mir mulmig, denn diese Kinder spielen meist deutlich stärker als ihre ELO
(1638). Oft sind es wandelnde Eröffnungslexika. Nur mit Mühe komme ich in die
Partie. Ich verbrauche viel Zeit, trinke aber unablässig Wasser. Seit 7:00 habe
ich geschätzte drei Liter Flüssigkeit getankt, war aber noch kein einziges Mal
auf der Toilette. Ab 16:00 bessert sich mein Befinden schrittweise um 2%. Dafür
verschlechtert sich meine Stellung. Komischerweise ist mir das heute relativ
egal. Das Wichtigste ist, dass meine Gesundheit wieder hergestellt wird.
Nach dreieinhalb Stunden hat der Junge gewonnen. Er hat sauber gespielt und ich
bezweifle, dass die Partie anders ausgegangen wäre, hätte ich nicht so sehr mit
mir selbst zu kämpfen gehabt. Ich gönne es ihm, denn das war eine wirklich
starke Vorstellung. Mein Gesamtergebnis ist jetzt natürlich unter aller Kanone.
Da werde ich meinen zuletzt erworbenen kleinen ELO-Zugewinn wieder einbüßen.
Zum Zeitpunkt meiner Aufgabe ist Familie Czarnach schon wieder weg. Ich
entscheide, heute in ein anderes Restaurant zu gehen, denn die Lebensgeister
haben sich gemeldet. Der Magen ist leer und verlangt nach Füllung. Der Zufall
will es, dass ich in einem kleinen, netten Lokal etwas zurückversetzt von der
Straße lande, das von einer wirklich charmanten Holländerin um die 40 geleitet
wird. Sie bietet mir die 14-tägig erscheinende deutsche Zeitung aus Pattaya an,
um die Wartezeit bis zum Essen zu verkürzen.
Eine ganze Seite widmet sich dem Polizeibericht, der fast ausschließlich Fälle
aus dem Rotlichtmilieu aufgreift. „Tunte erleichtert Engländer um 3000 Baht und
versteckt Beute in der Unterhose“, „Tourist vergreift sich an 16-jähriger“,
Nackter Engländer auf der Straße von Polizei aufgegriffen“, „Mutter vermietet
14-jährige Tochter an Touristen“ und so weiter und so fort. Ich weiß schon,
warum ich mich von der Walking Street fern halte. Dazu wirbt der gerade
eröffnete „Paulanergarten Pattaya“ um Gäste.
Hefeweizen, Dunkles, Alkoholfreies: alles da. Nicht zu fassen!
Weil mein Hunger groß ist und ich die Miniportionen aus den Lokalen in der
Umgebung inzwischen kenne, bestelle ich neben einem Hauptgericht zusätzlich
eine Suppe. Die Holländerin bringt mir einen „Eimer“, der bis oben hin gefüllt
ist mit Nudeln, Hühnchenstücken, Broccoli, Zwiebeln
und grünem Chili. Allein davon bin ich schon satt! Zwei Drittel der Hauptspeise
muss ich stehen lassen.
Mein Magen ist am heutigen Tage geschrumpft und kann nicht mehr aufnehmen. Ich
entschuldige mich dafür und betone, dass es nicht meine Art ist, so viel
zurückgehen zu lassen. Sie bietet mir an, den Rest mitzunehmen. Ich weiß zwar
nicht, wo ich das noch einmal aufwärmen soll, sage aber zu.
Sie wird immer gesprächiger, auch deshalb, weil in ihrem Lokal kaum etwas los
ist. Die Hauptsaison ist vorbei, am Wochenende ist der Höhepunkt des Songkran-Festes, was viele Touristen nicht mögen, und die
Temperaturen steigen in den nächsten 6-8 Wochen um weitere 10° an! Zurzeit sind
es zwischen 33° und 36° bei der bekannt hohen Luftfeuchtigkeit. Heute
allerdings ist es überraschend windig, wodurch es ganz gut auszuhalten ist.
Seit 14 Jahren lebt Eva in Pattaya, seit neun Jahren ist sie geschieden. Sie
kommt ins Philosophieren. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie den Kontakt mit
mir vertiefen will. Allein bei dem Gedanken, den Rest meines Lebens in Pattaya
verbringen zu müssen, wird’s mir (schon wieder) übel! Als ich bereits gezahlt
habe, auf der Straße stehe und mich orientiere, kommt sie mir nachgelaufen und
verabschiedet sich von mir ein weiteres Mal…Es wird wohl besser sein, hier
nicht mehr aufzutauchen.
Als ich die drei Stufen vom Lokal herunter trete, stehe ich mitten im
allabendlichen Textil- und Souvenirmarkt. Zeit für Polohemden. Gefälschte
Lacoste-Ware ist angesagt. Bald steht eine ziemlich unsympathische Thai vor
mir, die mich in schlechtem Englisch zuschwallt,
wovon ich maximal 20% verstehe. Anfangs will sie für die drei ausgesuchten
Hemden 870 Baht. Ich handle sie etwas halbherzig auf 700 herunter, womit sie
bestimmt einen sehr guten Schnitt macht, Aber was soll’s. 700 Baht sind knapp
16 Euro. So sind beide zufrieden. Leben und leben lassen!
Ich lasse mich noch etwas über den Markt treiben und beobachte neben den Waren
auch die Leute. Mir kommt ein typisches „Pattaya-Paar“ mit einem grob
geschätzten Altersunterschied von 45 Jahren entgegen: Ihre überzeugenden
Argumente wippen im kühlen Abendwind, während er schon wieder die Geldbörse
zückt, denn „Madame“ will eingekleidet werden. Und durchfüttern muss er sie
auch, bevor es wieder in die Horizontale geht.
Danach trete ich den Rückzug ins Hotel an.
Schwindel, Kopfschmerzen und Rückenschmerzen sind weitgehend Vergangenheit. Ich
bin heilfroh, dass es letztlich so glimpflich ausgegangen ist. Das hätte
durchaus schlimmer enden können, mit Kreislaufkollaps
auf der Straße nebst Einlieferung in ein thailändisches Krankenhaus!
Die Lust zum Schreiben ist wieder da, und so bringe ich das Tagebuch auf den
neuesten Stand.
In den restlichen Nächten meines Aufenthaltes werde ich die Klimaanlage auf jeden
Fall einschalten, denn Schwitzen bedeutet immer Flüssigkeitsverlust. Da bin ich
jetzt ganz pingelig.
Punktestand:
Anton: 1,5/8, Stefan: 2,5/8, Simone:
1,5/6.
Sonntag, 17.04.2011:
Patschnass wache ich kurz vor halb acht auf, trotz eingeschalteter Klimaanlage.
Immerhin habe ich durchgeschlafen, und der Kreislauf fährt auch hoch. Das ist
doch schon mal was. Beim Frühstück verzichte ich auf Butter, Salat, Obst, kalte
Getränke und schwere Speisen. Da bleibt nicht mehr viel übrig. Für die letzte
Runde habe ich mir viel vorgenommen. Ein Punkt noch, und ich könnte den
ELO-Verlust minimieren. Zudem habe ich Weiß. Doch als ich auf der Paarungsliste
nachsehe, kommt die Ernüchterung. Mein Gegner hat eine ELO von 2108. Er kommt
aus Singapur und trägt den wundersamen Namen Ng! Ja,
richtig gelesen, ich habe mich nicht vertippt. Groß „N“, klein „g“, fertig. Das
kann nur jemand aussprechen, dem man wie im Mittelalter öfter geschehen, die
Zunge herausgeschnitten hat! Und wie lautet die „Steigerung“ von Ng? Antwort: Png! Dieser
Teilnehmer des Opens kommt aus Malaysia. Das geht wiederum mit Zunge besser!
Jimmy Ng hustet und schnieft am laufenden Band. Er
ist einer von vielen, der sich im Spielsaal eine saftige Erkältung mit den
üblichen Symptomen zugezogen hat. Bestimmt wird es ihm heute ein anderer
Spieler gleichtun, der gerade an unserem Brett vorbeihuscht. Shorts und T-Shirt
sind klatschnass, weil er eine volle Wasserladung vom Songkran-Fest
abbekommen hat. Bei den Kältegraden im Spielsaal ist ein Infekt geradezu
garantiert.
Schon wieder kommt Englisch aufs Brett. Diesmal versuche ich es mit der
Symmetrie-Variante und komme zufriedenstellend heraus. Ich bin entzückt!
Entgegen meiner sonstigen Art biete ich ihm bei der Ausführung meines 17. Zuges
remis an. Eigentlich mag ich diese frühzeitige Remisbettelei
überhaupt nicht.
Als schwächerer Spieler muss man sich den halben Punkt oder gar mehr schon
erkämpfen. Aber hier und heute ist die Lage anders: Er kann seinen Husten nicht
stoppen, läuft ständig vom Brett weg und fühlt sich ganz offenkundig unwohl.
Vielleicht ist er ja froh, wenn es vorbei ist. Und die Stellung ist in der Tat
ausgeglichen. Er lehnt ab. Ich weiß also Bescheid.
Einige Züge später drängt er mich durch subtile Züge mehr und mehr zurück und
droht, meine gesamten Schwerfiguren bei lebendigem Leib zu begraben. Das will
ich mir nicht antun und opfere zwecks Stellungsöffnung und Hoffnung auf
Initiative einen Springer gegen zwei Zentrumsbauern. Mein geplanter Angriff
entpuppt sich als laues Lüftchen, und als er mich zwingt, die Damen zu
tauschen, ist alles vorbei.
Zum Glück ist Mr. Ng ein sehr sympathischer
Zeitgenosse, was den Schmerz der Niederlage wenigstens etwas dämpft. Er lädt
mich auf einen schwarzen Tee an der Hotelbar ein, wo wir auch unsere Partie
analysieren können. Er glaubt, ich hätte einen falschen Aufbau gewählt.
Zunächst nehme ich ihm alles ab, da ich die Theorie nicht richtig kenne, aber
Zweifel bleiben. Schließlich ist auch Mr. Ng mit
seinen 2108 kein Schachgott, was sich bei der abendlichen Analyse bestätigt.
Jimmy ist 48 und hat als Kind und Jugendlicher ganz begeistert „Spiel ohne
Grenzen“ geschaut, was damals offenbar auch in Singapur lief. Er verstand
natürlich die Sprache nicht, erfreute sich aber an den lustigen Wettspielen
zwischen den beteiligten Städten, die speziell im Sommer oft das Element Wasser
beinhalteten. Noch heute findet er es schade, dass es diese Sendung nicht mehr
gibt. Ich pflichte ihm bei, denn mir geht es genauso.
Er ist Managing Director einer Transportgesellschaft
im Hafen von Singapur, einem der größten Seehäfen der Erde. Im September wird
er kurz geschäftlich nach Hamburg kommen, aber viel wichtiger ist es ihm,
gleich darauf weiter nach München reisen zu können, wo er das Oktoberfest
besuchen will! Er überreicht mir seine Visitenkarte, und ich notiere ihm meine
E-Mailadresse samt Handynummer. Wenn er in München ankommt, werde ich ihn mit
dem Taxi abholen. Sachen gibt’s…
Anton hat seinem misslungenen Turnierverlauf eine letzte Niederlage
hinzugefügt, dafür holt Simone ihren dritten Sieg und wird mit 3,5 Zählern aus
7 Partien mit Abstand beste Starnbergerin. HERZLICHEN
GLÜCKWUNSCH!
Mein Gesundheitszustand hat sich zwar deutlich verbessert, aber leider bin ich
immer noch nicht „dicht.“ Also suche ich eine Apotheke auf und schildere der
Apothekerin mein Leiden. Auch diese Frau sieht wie gemalt aus, wie ein
gestyltes Covergirl nach der elektronischen Bildbearbeitung!
Neulich beim Optiker war ich schon tief beeindruckt von der Schönheit und Anmut
der beiden Verkäuferinnen. Diese hier in der Apotheke erreicht genau dieselbe
Stufe. Eifrig macht sie sich ans Werk. Sie beginnt, verschiedene,
wiederverschließbare, kleine Plastiktütchen zu beschriften. Als das erledigt
ist, füllt sie in zwei dieser Tütchen verschiedene Tabletten in
unterschiedlicher Menge. In das dritte Tütchen gibt sie wiederum kleinere
Papiertütchen, in denen ein Pulver enthalten ist.
Während sie mir geduldig erklärt,, in welchen Abständen und welchen Mengen die
drei Präparate einzunehmen sind, betritt ein ungehobelter Endfünfziger aus dem
Empire die Apotheke. Er zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass er
lediglich mit einer Turnhose bekleidet ist, also kein T-Shirt oder ähnliches
trägt.
Ich bemerke, wie die hübsche Apothekerin und auch ihre Assistentin regelrecht
zusammenzucken, sich aber jedes Kommentares enthalten. Ganz offensichtlich sind
sie über das Auftreten dieses verabscheuungswürdigen Kerls entsetzt. Es ist
eine grobe Verletzung der Sitten und Gepflogenheiten, in Thailand öffentlich
mit nacktem Oberkörper aufzutreten. Für Thais bedeutet das ein Höchstmaß an
Respektlosigkeit. Es ist ein besonders krasses Beispiel dafür, wie der
Massentourismus für einen dramatischen Kulturverfall auf der ganzen Linie
sorgt.
Hätte ich mich gesundheitlich besser gefühlt, hätte ich bestimmt passende Worte
für diesen „Herrn“ gefunden. So aber halte ich mich doch lieber zurück und
hänge mich an ihre Lippen, um jedes Wort von ihr wie ein Schwamm aufzusaugen.
Selten habe ich so gerne Geld für Medizin ausgegeben wie heute. Ich bedanke
mich fast überschwänglich und verlasse den Laden nur ungern, weil es dort so
angenehm kühl ist. Die zwei Hübschen müssen sich jetzt mit dem grässlichen
Engländer befassen…
Nun sind es nur noch wenige hundert Meter zu dem von der Reiseleitung
empfohlenen Maßschneider. Der kleine Laden eines Inders ist in einer der
zahlreichen Hotelanlagen beheimatet. Das Ziel trocken zu erreichen, wird immer
schwieriger, weil die ganze Jugend Pattayas an den
Straßenrändern der Hauptverkehrswege steht und wie wie
von Sinnen mit Wasser herumspritzt.
Durch ablehnende Gestik und Blickkontakt versuche ich, die Eimer schwingenden
Horden davon abzuhalten, sich ausgerechnet mich als nächstes Opfer auszusuchen.
Auf der kurzen Strecke zwischen der Apotheke und dem Maßschneider gelingt das
weitgehend. Einer jedoch erwischt mich von schräg hinten mit einem dünnen, aber
heftigen Strahl genau am rechten Brillenglas vorbei direkt ins Auge! Aggression
zu zeigen brächte nur Verständnislosigkeit und hätte keinen Zweck, also reibe
ich heftig mein Auge, säubere grob meine Brille und mache mich schnell vom
Acker.
Als ich völlig kaputt und nassgeschwitzt die Hotelanlage erreiche, frage ich
einen Boy von der Rezeption nach dem Schneider. Er weist mir den Weg. Nach
wenigen Metern entdecke ich das kleine Lädchen und will eintreten,
aber…geschlossen! Ich werde wahnsinnig! Jetzt habe ich mich unter einigem
Energieeinsatz in der prallen Frühnachmittagssonne hier her geschleppt und soll
unverrichteter Dinge wieder abziehen? Nein, das kommt nicht in Frage.
Ich gehe zurück und sage dem Boy Bescheid. Er greift sich sofort sein Handy und
sagt „No problem, I will call him. He is
out for lunch.“ Das ist die bislang beste Nachricht
des Tages! Er fügt hinzu, dass ich ein paar Minuten warten solle. Er käme dann
gleich. Ich nehme auf einem der zahlreich vorhandenen Gartenstühle Platz und
habe im nächsten Moment einen kühlenden Ventilator direkt neben mir stehen. Die
Thais lesen mir fast jeden Wunsch von den Lippen ab!
Kaum habe ich mich bedankt, eilt ein freundliches Wesen herbei und bietet mir
etwas zu trinken an. Angesichts meines defekten Magen-Darm-Traktes frage ich
nach einem warmen Wasser. Vor ihren Augen sehe ich Fragezeichen tanzen. Warmes
Wasser? Bei diesen Temperaturen? Sie findet ihre Fassung wieder und meint: „Wir
haben nur Wasser aus dem Kühlschrank.“
„Gut, dann bringen Sie mir bitte eine Flasche“, willige ich ein. Sie bringt das
kühle Nass, und ich habe im nächsten Moment nichts Eiligeres zu tun als
aufzustehen und die Flasche fünf Meter von meinem Stuhl entfernt in die pralle
Sonne zu stellen! „Das sind schon merkwürdige Leute, diese Farangs“,
wird sie sich wohl gedacht haben. Nach fünf Minuten des Wartens möchte ich dann
doch einen ersten Schluck genießen. Zudem will ich mit Hilfe dieser Pulle
sowohl meine ersten Tabletten einwerfen als auch das erste Pulvertütchen mixen.
Das Warten hat bestimmt 3° Erwärmung gebracht. Jedenfalls bilde ich mir das
ein. Während ich dabei bin, den grässlichen Pulvertrunk zu schlucken, trifft
der Schneider ein. Mit einer Flasche Wasser und Medikamenten im Bauch fühle ich
mich deutlich besser. Den Rest zu meinem verbesserten Wohlbefinden trägt der
Ventilator bei.
Mein Gesprächspartner entpuppt sich als ein sehr erfahrener, fließend deutsch
sprechender Schneider und Textilhändler mit reichhaltiger Deutschlanderfahrung.
Ich verkünde meine Wünsche: 1 Anzug, je zwei weiße, lang- und kurzärmelige
Hemden und eine leichte Jacke für Frühling und Herbst. Gemeinsam bestimmen wir
die Details: einreihiger, schwarzer
Anzug mit zwei Knöpfen, ohne Weste, in reiner Cashmere
Wolle. Als Hemdenstoff empfiehlt er mir ein weißes Seidenmischgewebe zwecks
Bügelfreiheit. Dieses Argument zieht bei mir besonders. Kaum etwas ist so
sinnentleert wie bügeln.
Im Laufe des Gespräches versucht er, Händler wie er ist, immer wieder, mir eine
zweite Anzugshose, bunte Hemden, Krawatten oder eine zweite Jacke in anderer
Farbe einzureden. „Ich mache Dir einen sehr guten Preis!“ Er tut das aber nicht
auf unangenehme Weise, sondern stellt seine Bemühungen nach dem jeweils ersten
„Nein“ ein. Ich schlüpfe in eine der Jacken, die im Geschäft hängen. Diese hat
sowohl die gewünschte Größe (hier muss man nicht nach Maß arbeiten) als auch
die gewünschte Farbe (dunkelblau).
Dann nimmt er mit wieselflinken Handgriffen meine Maße mit dem Band und notiert
diese in ein großformatiges Kundenbuch. Wegen des Wasserfestes wird es zeitlich
etwas knapp. Deshalb bestellt er mich bereits für 19:00 am Abend zur Anprobe,
damit ich die gesamte Ware rechtzeitig am Donnerstag, meinem letzten Tag,
abholen kann. Als Zuckerl legt er noch eine Krawatte
gratis drauf und berechnet mir wie folgt: Anzug: 120 Euro, je Hemd 20 Euro,
Jacke 30 Euro. Allein der Anzug in dieser Stoffqualität kostet im deutschen Einzelhandel
nicht unter 800 Euro. Ich leiste eine Anzahlung über 3000 Baht, die er auf
einer Visitenkarte quittiert.
Mitte Juli ist er wieder in Deutschland. Bei dieser Gelegenheit kann er bei
allen Personen, die ernsthaftes Interesse haben, ebenfalls etwas zu bestellen,
die Maße nehmen. Die Lieferung erfolgt dann per Luftfracht. Wenn also der
geneigte Leser Kleidungsstücke in höchster Qualität zu wirklich unschlagbaren
Preisen erwerben möchte, kann er sich gerne an mich wenden.
Selbstverständlich ist dieses Angebot auch für die Damen der Schöpfung gültig
(Kostüme, Röcke, Blusen…). Eines steht aber fest: Ich selbst werde künftig
meine Textilien nur noch in Pattaya ordern! Das ist wenigstens etwas Positives,
was ich von dieser Reise mit nach Hause nehmen werde.
Inzwischen ist es fast halb vier geworden. Trotzdem verbleibt noch genug Zeit,
einige Postkarten samt Briefmarken zu erwerben. Als ich einen großen
Kartenständer entdecke, sehe ich mir die Auswahl an, die nicht gerade
begeistert. Dennoch suche ich mir sechs Karten aus und betrete das winzige
Lädchen. Zunächst ist niemand zu sehen, aber im nächsten Moment erscheint aus
einem noch winzigeren Kabuff ein schwarzbärtiger, afghanischer Waldschrat, vor
dem ich im ersten Moment regelrecht zusammenzucke. Er entpuppt sich aber rasch
als überaus freundlicher und zuvorkommender Gesprächspartner, der mir meine
Fragen zu Preisen und Porto in gutem Englisch beantwortet. Wie kommt dieser
Mann bei seinem Angebot auf einen akzeptablen Umsatz?
Ich setze meinen Weg Richtung Dusit Thani fort, denn um 16:00 beginnt die
Siegerehrung. Zum Glück geht es jetzt etwas abwärts. Wieder wechsle ich auf
einem kurzen Straßenabschnitt zweimal die Straßenseite, um den lästigen
Wasserwerfern zu entgehen. Auch diesmal gelingt es mir, dem „großen Eimer“ zu
entkommen!
Der Turniersaal ist gänzlich umgestaltet. Unsere geliebten Spielsachen sind
weggeräumt (wie schade!) und mussten breiten Stuhlreihen Platz machen. Viele
fleißige Hände treffen letzte Vorbereitungen, damit die Zeremonie pünktlich
beginnen kann. Kurz vor 16:00 füllen sich die Reihen wenigstens ein bisschen,
aber im Grunde ist es auch hier wie überall sonst bei Siegerehrungen von
Schachturnieren.
Nur die Preisträger sind da, ein paar Offizielle, beispielsweise zwei
Vertreterinnen des thailändischen Tourismusverbandes, Journalisten wie der
australische GM Ian Rogers, einer der Hauptberichterstatter des „Schach-Magazin
64“, ein paar Angehörige der thailändischen Kinder, die teilgenommen haben,
Vertreter des Unternehmens, das für die Internetübertragung der vier
Spitzenbretter gesorgt hat, das Schiedsrichterteam, Sponsorenvertreter, und
einige wenige Teilnehmer wie ich, die keinen Preis gewonnen haben, aber die
Siegerehrung trotzdem miterleben wollen. Insgesamt entspricht dieser Rahmen
nicht der Qualität der gesamten Veranstaltung und auch nicht dem Ambiente, das
das Hotel zu bieten hat.
Um 16:10 setzt liebliche, thailändische Musik aus Lautsprechern ein.
Gleichzeitig betreten fünf Tänzerinnen über eine Flügeltür den Saal und bewegen
sich langsamen Schrittes Richtung Bühne. Sie tragen aufwändig gestaltete,
phantastische Kostüme in schillernden Farben, im Haar stecken Blumenkränze,
Goldschmuck blitzt auf, und eine der anmutigen Damen trägt sogar eine Art
Krone. Auf der Bühne angekommen, führt jede der fünf einen Solotanz vor. Danach
verlässt die Gruppe unter Beifall den Saal. Die Vorführung dauert etwa eine
Viertelstunde und ist allein das Startgeld zum Turnier wert!
Nun ergreift Turnierdirektor Kai Tuorila, ein
weiterer Finne, das Wort. Das Turnier wurde zum 11. Mal veranstaltet, es sah
290 Spieler aus 38 Ländern in zwei Turnieren am Start. Er geht auf den
Fragebogen ein, der tags zuvor unter den Spielern verteilt worden war.
Grundtenor ist, dass es allen ausgezeichnet gefallen hat. Ich habe mir erlaubt,
in diesem Bogen die zu niedrige Saaltemperatur zu kritisieren. Aber natürlich
habe auch ich die Organisation und das große Ganze mit positiven Worten
gewürdigt.
Anschließend bedankt er sich bei den Teilnehmern, dem Schiedsrichterteam, all
den Helfern, ohne die ein solches Turnier nie durchführbar wäre sowie den
Bedienern der vier Internetbretter. Und dann werden die verschiedenen Sponsoren
genannt, an erster Stelle die finnische Fondsmanagementgesellschaft FYN. Jetzt
weiß ich endlich, woher die vielen Finnen kommen!
Gleich nach den Nordeuropäern ist das Hotel Dusit Thani zu nennen, das den
Spielern kaum zu überbietenden Service bot. Titelträger erhielten für die Dauer
des Turniers Kost und Logis gratis. Hier haben die teilnehmenden Großmeister
ihre Normen besonders gerne eingesetzt, davon bin ich überzeugt.
Es kommt zur Preisverleihung. Insbesondere beim Aufrufen der Preisträger für
die fünf besten Spieler aus Thailand, und der drei besten Junioren zeigt sich,
dass einige bereits abgereist sind. Offensichtlich ist die Turnierleitung
dennoch bereit, den Herren ihr Geld oder auch Urkunden hinterher zu schicken.
In Bad Wiessee beispielsweise müssen alle Preisträger
anwesend sein, ansonsten gibt’s kein Geld. Da hätte eben der eine oder andere
Inder seinen Flug umbuchen müssen. Letztlich ist es nicht mein Problem, aber
wenn ich irgendwann vielleicht doch noch mal ein Turnier veranstalten sollte,
würde ich auf jeden Fall die obige, „harte Variante“ wählen.
Einen an Peinlichkeit nicht zu überbietenden Auftritt hat der Zweitplatzierte
des Challenger Turniers, ein fettleibiger Engländer
von geschätzten 55 Jahren. Seine Körperform allein ist noch kein Vergehen, aber
die Stofffetzen, die er drangehängt hat, schon! Braune Baumwollshorts geben den
Blick frei auf Oberschenkel wie griechische Säulen, dazu trägt er ein
ärmelloses T-Shirt in einer undefinierbaren Farbe, irgendwo zwischen mausgrau
und Hornhaut-Umbra! Dazu trägt er Jesuslatschen.
Praktisch im Vorübergehen greift er sich seine Urkunde, schüttelt nur einem der
fünf auf der Bühne postierten Sponsorenvertreter die Hand, und auch das nur für
den Bruchteil einer Sekunde, schenkt dem Publikum keinen Blick, starrt
stattdessen schamvoll auf den Boden und verlässt so schnell es sein Gewicht
zulässt, die Bühne als sei er auf der Flucht. Für das geplante Foto steht er
nicht zur Verfügung, und das ist auch besser so!
Was hat sich dieser Kerl bloß gedacht? Natürlich gar nichts! So einem Typen
hätte man den Zugang zum Hotel schlicht verwehren müssen. Man hätte ihm sagen
müssen: „Ziehen Sie sich erst einmal vernünftig an. Dann dürfen Sie vielleicht
hereinkommen!“ Wie kann es sein, dass so jemand auf derart krasse Weise die
Gilde der Schachspieler in Misskredit bringt?
Wie kann man als Gast in einem fremden Land derart respektlos auftreten, noch
dazu in einer der besten Adressen in ganz Pattaya? Welcher Sponsor zahlt an so
einen Lumpen gerne Preisgeld aus? Der Imageschaden für das Schach, den ein
solches Auftreten verursacht, ist unermesslich und irreparabel. Kein Wunder,
dass sich Turnierveranstalter schwer tun, immer wieder Sponsoren zu finden, die
bereit sind, Geld für Schach zu geben. Hier hätte meiner Meinung nach die
Turnierleitung allein schon aus Selbstschutz eingreifen müssen, um Schaden vom
Turnier abzuwenden. Leider Gottes gab es noch eine ganze Reihe weiterer
Preisträger, die alles andere als angemessen gekleidet auf die Bühne traten.
Traurig und erschreckend zugleich.
Im Open gibt es 10 Geldpreise. Die drei ELO-Favoriten stehen am Ende auch
vorne. Sie erzielen je 7,5 Punkte und dritteln einen Betrag von 220.000 Baht.
Dies entspricht etwa 5.000 Euro. Das ist nicht gerade viel für eine Woche
Arbeit. Zudem wird davon noch 5% Steuer abgezogen. Dritter wird GM Francisco
Vallejo-Pons (ESP), Rang zwei sichert sich Nigel Short (ENG), trotz seiner
Niederlage gegen Jan Gustafsson (D), der unter anderem dadurch das Turnier bei
seinem ersten Auftritt in Thailand für sich entscheiden kann!
Er wendet sich dann mit einer kurzen Ansprache ans Publikum, bedankt sich beim
Hotel und den anderen Sponsoren für die hervorragenden Konditionen sowie die
herzliche Aufnahme in Thailand und kündigt an, wiederzukommen, So wird es doch noch ein gelungener Abschluss dieser
Zeremonie, die gegen 17:30 beendet ist. Wer alle Daten, Statistiken,
ELO-Auswertungen und Platzierungen zum Turnier im Detail nachvollziehen möchte,
dem sei die sehr informative Seite
www.chess-results.com ans Herz gelegt.
Nach einer kurzen Stippvisite im Hotelzimmer probiere ich ein neues Lokal in
nur hundert Metern Entfernung aus. Hier bin ich auch vor dem schwachsinnigen
Treiben auf den Straßen sicher. Die Wartezeit aufs Essen fülle ich mit dem
Schreiben meiner ersten Postkarte. Eigentlich habe ich das Thema
Postkartenschreiben vor einigen Jahren abgehakt, weil die Karten immer erst
weit nach Reiserückkehr ankommen, aber diesmal habe ich beschlossen, doch
wenigstens sechs Karten zu schreiben, zumal es sich immerhin um eine
zweiwöchige Reise handelt. Früher schrieb ich oft weit über zwanzig.
Es ist 18:45 geworden. Ich zahle und mache mich auf zu meinem Anprobetermin beim indischen Schneider. Inzwischen sind an
den Straßenrändern mehrere Bühnen für die eifrigsten Wasserverschwender
aufgebaut. Daneben stehen Tanklastzüge, damit der Vorrat ja nicht zur Neige
geht! Ich wähle meinen inzwischen gewohnten Zickzackkurs mit der bewährten
Abwehrmimik und habe auch diesmal Glück.
Der Chef ist nicht da, dafür aber sein indischer Freund, mit dem ich bereits am
Nachmittag bekannt gemacht wurde. Er führt ein kurzes Telefonat, in dem er
meine Ankunft mitteilt. Nachdem ich immerhin eine Viertelstunde gewartet habe
und sich nichts tut, setzt er nach. Endlich, nach weiteren fünf Minuten
erscheint ein junger, etwas korpulenter Mann mit Hut, garantiert kein Thailänder.
Er ist der Mann, der die wahre Handwerksleistung erbringt. Er hat ein
Sakkomuster ohne Ärmel mitgebracht, setzt Nadeln und strichelt mit einem
Spezialstift, der auf Stoff schreibt, Markierungen. Dies ist in wenigen Minuten
erledigt. Eine Hosenanprobe ist nicht nötig. Ich verabschiede mich von beiden
und überlege mir auf den ersten Metern schon die Wasserstrategie für den
Heimweg.
Dies wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn zu meiner großen Überraschung sind
die Bühnen verwaist, und auch die Straßenränder sind kaum mehr bevölkert,
obwohl es noch nicht einmal 20:00 ist. Im Zimmer widme ich mich ausführlich
meiner letzten Partie. Insbesondere befasse ich mich intensiv mit der
Eröffnung, um erstens herauszufinden, ob mein gewählter Damenzug,
den Jimmy Ng in der Analyse kritisiert hat, spielbar
ist und zweitens, um für die Zukunft einen zu mir passenden Aufbau zu finden.
Mein Damenzug ist sogar der am dritthäufigsten
gespielte Zug in der diskutierten Stellung. Was das passende System betrifft,
bin ich noch zu keiner endgültigen Entscheidung gekommen. Fest steht aber, dass
ich angesichts der Häufigkeit von Eröffnungen wie Réti
oder Englisch mein Repertoire gezielt erweitern muss. Unter dem Gebläse der Klimaanlage
falle ich trotz der lärmenden Thainachbarn in den Schlaf.
Montag, 18.04.11:
Bereits nach fünfeinhalb Stunden, um 06:15 morgens, wache ich auf. Die Nacht
ist beendet! Noch vor dem Frühstück kann ich eine weitere Postkarte abhaken.
Bis 10:00, dem Termin mit der
Reiseleiterin, schaffe ich weitere drei.
Für Mittwoch buche ich den Tagesausflug zu einem positiv beschriebenen
Landschaftspark in 18 Kilometern Entfernung. Kurz darauf trifft Anton samt
kompletter Familie ein. Er wird die Buchung in seinem Hotel vornehmen, da die
Anfahrt von Jomtien aus kürzer und der Preis für die Tagestour deshalb deutlich
günstiger ist.
Er konnte es nicht lassen und beglückt mich nun doch zwangsweise mit einem
geliehenen Handy, damit wir untereinander kommunizieren können. Es ist ja nett
gemeint. Anton hat eine SIM-Karte mit einem kleinen Guthaben besorgt und seine
Nummer bereits eingespeichert, damit ich als Technik-Depp nur eine einzige
Taste drücken muss. Ist das nicht herrlich, wenn man derart umsorgt wird?
Er erwähnt, dass am Turnier Dr. Achim Illner, ein deutscher FM (ELO 2553) aus
Bochum und ehemaliger Wettkönig bei „Wetten dass…“ mitgespielt hat. In seiner
Partie der 3. Runde, als er gegen GM Nigel Short spielte und verlor, war mir
Illner aufgefallen. Die damalige Aufgabe in der Show bestand darin, fünf
Schachstellungen wieder aufzubauen, nachdem er jede davon nur für eine (zwei?)
Minuten betrachten durfte. Ich kann mich dunkel an diese Sendung erinnern,
obwohl man mich wahrlich nicht als Wetten dass-Freund bezeichnen kann.
Bevor die Familie zu einem Markt in Zentral Pattaya weiterzieht, genießen wir
gemeinsam einen Drink an der schattigen Poolbar. Ich werde ermuntert, in die
Stadt mitzukommen, bevorzuge aber die ruhige und vor allem kühlere Variante im
Hotel. Ich habe alles erworben, was ich erwerben wollte. Außerdem wartet das
Tagebuch auf Fortsetzung, und auch für mein Schach möchte ich heute etwas tun.
Zunächst jedoch fülle ich die beiden letzten Karten mit Text und will danach in
das Lokal gehen, das ich gestern Abend besucht habe, weil ich damit vermeide,
bis zur Straße gehen zu müssen und damit der Gefahr des Wassers ausweichen
kann.
Doch zu meinem Entsetzen hat dieses Restaurant eben wegen des Wasserfestes
geschlossen! Also bleibt nichts anderes übrig, als die Straße zu überqueren und
schnell in eines der kleinen Restaurants zu huschen, das ich ebenfalls schon
kenne. Direkt vor dem Lokal befindet sich eine Wasserstation mit einer sehr
aggressiven Eimerschwingerin.
Als ich schon längst sitze und mich in Sicherheit wiege, läuft sie plötzlich
mehrere Schritte ins Lokal hinein und leert einen ihrer Senfeimer über einem
deutschen Deppen aus, der schon vorher nichts als dummes Zeug geschwafelt hat.
Ich erkenne ihr Vorhaben gerade noch rechtzeitig und kann mich fluchtartig an
einen der hinteren Tische im Lokal, der zum Glück nicht besetzt ist, retten.
Meine Güte, wo bin ich hier nur gelandet? In Pattaya sind wirklich nur
Einzeller am Start!
Nach dem Zahlvorgang beobachte ich die Tussi in ihrem rosa T-Shirt aufs
Schärfste. Ich glaube, im richtigen Moment loszurennen, aber dann hat sie mich
im Augenwinkel wohl doch ausgemacht und nimmt mich mit verbissener Miene ins
Visier. Ich schreie sie an „No“ und durchbohre sie
mit meinem giftigsten Blick, den ich parat habe. Für eine Sekunde ist sie
paralysiert. Da auch gerade kein Auto kommt, bin ich weg wie der Blitz!
Drüben sind es nur ein paar Meter, bis ich endgültig in Sicherheit bin. Morgen
soll es noch schlimmer werden. Das ist der thailändische Faschingsdienstag! Die
Reiseleiterin berichtete, dass Gäste, die als Abreisetermin 18:30 haben,
bereits einen halben Tag früher abgeholt werden müssen, nämlich schon um 12:00,
weil man die Stadt danach mit dem Auto nicht mehr verlassen kann! Aus demselben
Grund werden morgen auch keinerlei Ausflüge angeboten.
Im Zimmer atme ich erst einmal durch und beschließe, das Hotelgelände morgen
nicht zu verlassen. Am Nachmittag gerate ich in einen Schreibrausch. Allerdings
komme ich nicht gerade schnell voran, weil es mir nicht gelingt, meine Gedanken
so flüssig wie gewünscht zu Papier, oder besser gesagt, zu Bildschirm zu
bringen. Ehe ich mich versehe, ist es 20:00.
Da fällt mir ein, dass es diesen bequemen 24-stündigen Roomservice
gibt. Ich suche mir aus der reichhaltigen Speisekarte ein Gericht aus und wähle
die auf dem Telefon angegebene Nummer. Die Bestellung klappt wie am Schnürchen,
und ein Viertelstündchen später klopft es an meiner Tür. Eine kleine Thai-Fee
tritt in die Tür und bringt mir das gewünschte Mahl. Dummerweise fällt mir erst
viel zu spät ein, dass ich ihr unbedingt ein Trinkgeld hätte zustecken müssen.
Bei dieser Art von Bestellung bin ich leider viel zu unerfahren. Ich werde
versuchen, mich morgen zu verbessern.
Mir fällt erst jetzt auf, dass die Thai Verkäuferin auf dem Textilmarkt meine
drei Polohemden in eine Playboy-Tüte gepackt hat. Man kann machen, was man
will, hier wird anscheinend alles auf irgendeine Weise mit Sex in Verbindung
gebracht!
Durch regelmäßiges Schlucken weiterer Tabletten am heutigen Tag normalisieren
sich meine Innereien weiter. Eine Sorte habe ich schon „aufgegessen“. Am Abend
mache ich noch zwei Stunden Taktiktraining.
Gehirnjogging muss sein bei all diesen Hohlköpfen um mich herum. Hätte ich von
den Auswüchsen dieses Wasserfestes gewusst, wäre ich garantiert direkt nach
Turnierende abgereist.
Dienstag, 19.04.11:
Jeden Morgen das gleiche Procedere: Im Frühstücksraum schleichen immer
dieselben Nasen herum. Es ist wirklich keiner dabei, mit dem ich gerne Kontakt
aufnehmen würde. Heute will ich endlich den Pool einweihen, aber am Himmel
türmen sich bereits bedrohliche schwarze Regenwolken auf. Gerade als ich mein
Zimmer wieder betrete, öffnen sich die Schleusen, und etwa zwanzig Minuten lang
schüttet es senkrecht herab. Es ist wieder fast windstill, und durch den Regen
erhöht sich die Luftfeuchtigkeit auf 100%.
Anton ruft mich an. Der geplante Tagesausflug zu einigen Inseln in der Umgebung
wurde abgesagt – Songkran…Ein spontanes
Alternativprogramm gibt es noch nicht. Ich setze mein Taktiktraining
aus dem Buch fort und wechsle später auf die Rossolimo-DVD
von GM Viktor Bologan. Meine Güte, wie soll man den
sieben Stunden lang ertragen? Bereits nach einer zwanzigminütigen Sequenz rolle
ich mit den Augen, dabei bin ich ausgeschlafen. Er hat schon etwas zu sagen,
aber er sagt es derart monoton und auch noch so leise, dass man einfach
einschlafen muss!
Am Frühnachmittag, als das Zimmermädchen immer noch nicht da war, bestelle ich
mir wieder eine Mahlzeit mit Chicken aufs Zimmer.
Eine Minute später erhalte ich einen Rückruf aus dem Restaurant mit der
Meldung: „Chicken ran out!“ So so,
die Hühner sind also weggerannt! Ich bleibe beim selben Gericht und wechsle
einfach die Fleischart. Der Hühnermangel ist garantiert auch auf das Songkran-Fest zurückzuführen. In diesen Tagen funktioniert
hier überhaupt nichts!
Dasselbe Mägdelein wie gestern bringt Beef mit Reis und Gemüse. Dies gibt mir
die Chance, mein vergessenes Trinkgeld von gestern nachzuzahlen. Sie freut sich
sehr und fragt mich, warum ich nicht am Wasserfest teilnehme. „I am not interested“ ist meine trockene Antwort, die sie natürlich
gar nicht verstehen kann. Aber sie ist trotzdem eine ganz nette.
Streng achte ich auf meinen Flüssigkeitshaushalt. Drei Tassen Tee sind schon
eingefüllt, und zum Essen leere ich die erste meiner beiden täglichen
Gratis-Wasserflaschen. Ich sehe mir drei kommentierte Rossolimo-Partien
von Michael Adams an. Es ist einfach wunderbar, wie er diese Stellungen
behandelt!
Um 17:30 schreibe ich ein paar Zeilen über den heutigen Tag, was nicht länger
als ein Viertelstündchen dauert. Dennoch bin ich mit dem Tagesablauf sehr
zufrieden. Ich habe Ruhe vor der Wasserhölle, es ist angenehm kühl im Zimmer,
und ich habe gutes Schachmaterial, mit dem ich mich begeistert beschäftige.
Mein Vorhaben, in den Pool zu hüpfen, habe ich nachmittags verworfen.
Mittlerweile ist es sowieso zu spät.
Von draußen dringen donnernde Discoklänge herein. Offenbar tobt der GAU auch
innerhalb des Hotelgeländes. Die werden doch nicht bis tief in die Nacht hinein
lärmen? Mir schwant Böses. Ich verschlinge mit größtem Vergnügen die
Schachvideos von GM Henrik Danielsen aus Island (Da
ist es jetzt bestimmt schön kühl!).
Es geht um täglich zehn Trainingsstellungen, die er erklärt (Mittelspiel,
Endspiel), fünf Endspiele, bei denen er nur die Züge ansagt, ohne dass die
Figuren am Brett bewegt werden – hier müssen die Züge im Kopf nachverfolgt
werden - sowie fünf Taktikaufgaben. Das ist das
tägliche Programm, das ich im Idealfall absolvieren soll.
Jede Sequenz dauert zwischen drei und fünf Minuten. Insbesondere gefallen mir
die Endspiele, bei denen ich mir im Kopf die Zugfolgen vorstellen muss. Das ist
eine ausgezeichnete Konzentrationsübung. Schließlich kann man am Brett in der
Partie auch nichts ausprobieren. Ich habe Material für einen Monat.
So ziemlich genau um 22:30 endet der Lärm. Und der Fernseher meiner Nachbarn
bleibt genau eine Stunde später ebenfalls stumm. Der Tag wird immer besser!
Lust hätte ich zwar noch, die Sitzung fortzusetzen, aber die Augen sind
überanstrengt. Also beende ich das Training, das heute so effektiv wie selten
ist.
Mittwoch, 20.04.11:
Am thailändischen Aschermittwoch (Songkran ist
vorbei, die Wasservorräte sind aufgebraucht!) klingelt der Wecker um 7:15. In
einer guten Stunde werde ich abgeholt. Dann geht’s in einen der größten
Naturparks in Südostasien, den Nong Nooch Garden, der 18 Kilometer von Pattaya entfernt liegt.
Alles klappt wie am Schnürchen. Der Minibus trifft sogar einige Minuten vor
8:30 an der Rezeption ein.
An diversen Hotels werden weitere Gäste aufgegabelt, aber schon gegen 9:20
kommen wir am Haupteingang des Parks an. Jeder Teilnehmer erhält einen
informativen Plan mit Wegen, den zahlreichen Attraktionen,
Restaurationsbetrieben, Toiletten usw. ausgehändigt. Wir werden angewiesen, uns
im Eingangsbereich etwas umzusehen und um 9:45 für den gemeinsamen Weitermarsch
bereit zu sein.
Endlich bekommt meine Kamera etwas tun und zwar reichlich. Den armen Tiger, der
völlig apathisch auf einer runden Plattform liegt und mit den zahllosen
Touristen poussieren soll, verschone ich aber. Er trägt einen dicken Eisenring
um den Hals und wird regelmäßig von einer molligen Thai mittels eines
Holzstückes dazu animiert, Zähne zu zeigen, insbesondere dann, wenn ein Tourist
gerade bezahlt hat und die Kamera für den Abschuss bereit ist. Dem
bemitleidenswerten Vieh geht das alles so dermaßen hinten vorbei. Den kann
nichts mehr erschüttern!
Ein paar Schritte weiter läuft das Ganze mit türkisgelben Aras nach dem gleichen Muster ab, ohne Holzstück natürlich. Da wende
ich mich doch lieber den herrlichen Orchideentöpfen
zu, die ich entdecke. Die müssen nicht jahrelang dressiert werden. Mit genügend
Wasser und Sonne sind sie schon zufrieden.
Wie gewünscht finde ich mich um 9:45 wieder am Eingang ein. Dann heißt es, wir
sollen uns in fünf Minuten die Aquarien gegenüber ansehen und uns dann noch mal
sammeln. Also gut, dann betrachte ich mir einige wirklich interessante
Exemplare aus Neptuns Reich, um unmittelbar darauf festzustellen, dass der Rest
der wirklich großen Gruppe von etwa dreißig Personen nicht mehr aufzufinden
ist.
Allerdings erleide ich dadurch keine Depressionen. Im Gegenteil, so habe ich
wenigstens meine Ruhe und setze mich intensiv mit dem Plan auseinander. Das
Gelände mit seinen 500 Hektar ist zum Teil mit Hochwegen überspannt, von denen
aus man zum Teil herrliche Blicke auf die kunstvoll angelegten Gärten und
Blumenrabatten hat.
Die hohe Kunst thailändischer Landschaftsgärtnerei verleiht dem Park ein ganz
besonderes Flair, dem sich kein Besucher entziehen kann. Neben dem prachtvollen
Pflanzenbestand und den zahlreichen artenbezogenen Anpflanzungen gibt es ein Damwildgehege, ein Schmetterlingsbiotop, eine
Elefantenfütterungsstation, einen Streichelzoo und sogar einen eigenen
Raubvogelbereich. Am „Butterfly-Hill“ mache ich Halt und werfe einen Blick auf
den Plan. Da steht auch schon Anton vor mir, ohne dass wir telefoniert hätten!
Um 10:45 beginnt die erste von zwei Shows, die wir uns ansehen wollen. Obwohl
wir überpünktlich da sind, können wir wegen des riesigen Andrangs und trotz
einer großen Halle keine Sitzplätze mehr ergattern. Dafür sind wir im 1. Rang –
wie im Theater – und Anton setzt sich kurzerhand auf den Boden im Gang. Ich
selbst sitze schräg vor ihm recht bequem auf einem Geländer. Im Rahmen der
ersten Vorführung stellen sich die verschiedenen Kulturen aus dem Königreich
vor.
Tänzerinnen, Trommler, kriegerische
Kämpfer mit Schwertern und sogar berittene Elefanten treten auf. Auch die
Thai-Boxer will ich nicht vergessen, auch wenn mich das so gar nicht anspricht.
Alles wird farbenfroh und aufwändig präsentiert und ist perfekt einstudiert.
Natürlich ist das Programm in hohem Maße touristisch angehaucht, aber was will
man an einem Ort, zu dem ausschließlich Touristen kommen, anderes erwarten.
Direkt im Anschluss an die knapp halbstündige Vorführung geht es ins
„Elefantenstadion“. Die Show der Dickhäuter steht an. Kann ich mich mit der
eben beschriebenen Show noch einigermaßen anfreunden, muss ich bei den
dressierten grauen Kolossen doch die Nase rümpfen. Fuß- und Basketball
spielende sowie malende und kegelnde Elefanten sehen sich insbesondere für
Kinder ganz nett an, aber wie werden die grauen Riesen im Alltag von ihren
Dompteuren behandelt? Ich weiß nicht recht…
Ich verliere Anton und die anderen. Dafür treffe ich per Zufall meinen
thailändischen Guide, der mich samt der Gruppe vor zwei Stunden abgehängt hat.
Er führt mich zu dem Restaurant, in dem mein Mittagessen, das inklusive ist,
auf mich wartet. Ich labe mich an dem überaus
reichhaltigen Büfett. Leider sind auch hier die Speisen alle fast kalt. Dafür
kann ich mich vom Obsttisch kaum trennen. Dreimal lange ich bei Ananas und
Melone hin. Es ist nämlich wichtig, den Flüssigkeitshaushalt aufrecht zu
halten, denn es ist unglaublich schwül.
Mit neu gewonnener Energie marschiere ich zum herrlich angelegten French Garden
und zu Stonehenge im Norden des Parks. Auf dem
Rückweg finde ich rund um eine Hängebrücke einige hervorragende Fotomotive.
Alle Parkabschnitte sind so gut in Schuss und bestens gepflegt. Es ist eine
wahre Freude!
Erstmals wähle ich auf meinem Thai-Handy Antons Nummer, was er auch gleich
freudig registriert. Familie Czarnach bewundert gerade die Orchideen. Da es für
mich ebenfalls nicht mehr weit bis dahin ist, mache ich mich auf den Weg.
Endlich habe ich Ruhe, um mich mit meiner Kamera dieser einmaligen Pracht der
Natur zu nähern.
Anton und Co. ziehen weiter, während ich neue „grüne
Ecken“ entdecke und aus dem Staunen nicht mehr herauskomme. Endlich mal ein
richtiges Kontrastprogramm zu dem bislang doch öden Hoteleinerlei. Mittlerweile
ist es kurz vor 15:00, und langsam verlassen mich die Kräfte. Die Hitze zehrt,
außerdem habe ich inzwischen das Meiste gesehen. Also wandere ich gemütlich
Richtung Parkmitte, denn von dort aus ist es nicht mehr weit bis zu dem
Parkplatz, auf dem ich um 17:00 zwecks Abholung erscheinen soll.
Auf einer Holzbank im Schatten lasse ich mich nieder. Ich kann nicht mehr.
Knapp zwei Stunden muss ich jetzt noch totschlagen. Ich beginne mit dieser
„Arbeit“, indem ich gleich mal für zwanzig Minuten einschlafe! Gegen 15:45 ist
der Schattenplatz kein Schattenplatz mehr. Ein wichtiger Grund, diesen dadurch
unwirtlichen Ort zu verlassen und mich im nahegelegenen Souvenirladen
herumzudrücken. Nochmals sehe ich nach, ob ich nicht vielleicht doch etwas
gebrauchen könnte, aber obwohl das Angebot gigantisch ist – im Grunde ist es
ein Souvenirkaufhaus – werde ich nicht fündig.
Ich trotte zurück zu meiner verlassenen Bank, die inzwischen vollständig in der
Sonne steht. Aber daneben steht eine weitere, auf der ein Einheimischer sitzt.
Als er sieht, dass ich mich nähere, steht er auf und hebt das Ding an. Ich
packe auf der anderen Seite an, und gemeinsam heben wir das Sitzmöbel so weit Richtung Gebäude, dass der Schatten garantiert bis
17:00 vorhanden sein wird.
In meinem interessanten Führer, den ich von der Reiseleitung erhielt, lese ich
etwas aus Thailands Geschichte. Um 16:35 mache ich mich auf den Weg zum
Busparkplatz, und siehe da, eine Kolonne von drei Kleinbussen steht bereits in
den Startlöchern.
Jeder, der zusteigt, erhält sogar eine Flasche Sodawasser, ein Geschenk, das in
diesen Breitengraden immer willkommen ist! Punkt 17:00 setzen wir uns in
Bewegung, und eine knappe Stunde später treffe ich als einer der letzten im
Green Park Resort ein. Das war der mit Abstand beste Tag meines
Thailand-Aufenthalts, wenn ich mal vom Tag der ersten Runde absehe, als ich dem
Australier ein Remis abknöpfen konnte.
Mein erster Gang führt mich unter eine kühlende Dusche. Danach bin ich wieder
Mensch. Zweieinhalb Stunden wird geschrieben und dann kommen bis zur Bettruhe
wieder Schachvideos dran.
Donnerstag, 21.04.11:
Das ist der letzte Urlaubstag! Trotz des gestrigen Parkbesuches freue ich mich
auf die Heimreise. Ich muss 80 Euro in Baht umtauschen, um die restlichen
Kosten abdecken zu können als da wären: zwei Mahlzeiten, drei aufgelaufene
Posten auf der Zimmerrechnung, Trinkgeld für die Zimmermädchen und als Hauptposten
rund zwei Drittel der Rechnung für den indischen Schneider. Gleich nach dem
Frühstück mache ich mich auf, um diesen lästigen Punkt abhaken zu können. Zudem
ist es früh am Morgen noch nicht ganz so heiß.
Die erste Wechselstube hat noch nicht geöffnet, also wandere ich etwa hundert
Meter weiter stadtauswärts, bis das nächste Exchange-Schild erscheint. Hier ist
gleich die ganze Bank leer. „Wegen Umbau geschlossen“ lese ich auf einem
Papierschild. Im dritten Wechselkabuff sitzt zwar eine süße Thai, aber meinen
Wunsch kann sie nicht erfüllen, da ich nur 2 Fünfziger Banknoten parat habe und
sie mir 20 Euro nicht herausgeben kann, weil sie um diese Tageszeit nur über
50er und 100er verfügt Es klappt mal wieder nichts, und so trabe ich
unverrichteter Dinge wieder zurück ins Hotel..
Endlich kommt die Badehose zu ihrem Einsatz! Das Wasser hat geschätzte 28°. Der
Pool ist großzügig angelegt, mit zwei kleinen Brücken über die beiden
Wasserarme. In der Mitte befindet sich die Poolbar. Als ich drei Minuten des
Schwimmens hinter mir habe, stelle ich fest, dass sich genau unter einer der
Brücken eine Kachelbarriere befindet. Da gibt es kein Durchkommen. Ich kehre
also um und schwimme den rechten Wasserarm aus, bis zur anderen Brücke, wo mich
dasselbe Hindernis erwartet. Ich kehre um, schwimme die paar Minuten zurück zum
Beckenrand, verlasse den Pool, trockne mich ab, und nach nicht einmal einer
Viertelstunde ist das Thema „Schwimmen in Thailand“ abgehakt.
Schnell ziehe ich mich um, und dann geht’s endlich an den Laptop. Schach ist
angesagt. Das ist doch ungleich interessanter, als sich in so einem
Swimmingpool, an dessen Rand sich dämliche Teutonen grillen lassen, elend zu
langweilen!
Drei Stunden lang setze ich das Taktiktraining
intensiv fort, ehe mich der Hunger quält. Bevor ich in eines meiner Stammlokale
husche, versuche ich es bei einer vierten Bank, die 80 Euro umzutauschen. Am
Schalter hängt ein Schild: „To the
toilet! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Wie viele
Varianten gibt es denn noch, mir die paar Baht vorzuenthalten?
Ich gehe also zunächst essen und versuche es danach ein fünftes Mal. Eine
Dreiviertelstunde später hängt das Toilet-Schild
immer noch da. Die Schalterdame muss ähnliche Probleme mit ihrem
Magen-Darm-Trakt haben wie ich in den letzten Tagen. Anders kann ich mir das
nicht erklären.
Ich wähle jetzt die entgegengesetzte Richtung, um eine weitere Wechselstube
ausfindig zu machen. Suchen muss ich nicht lange. Es gibt endlos viele davon.
Beim sechsten (!) Versuch habe ich endlich Erfolg. 20 Euro sind vorrätig. So
schnell es in der Mittagshitze geht, laufe ich wieder Richtung Hotel. Das
Alternativprogramm lautet Tagebuch schreiben, was angesichts akuter
Ereignislosigkeit flott vonstatten geht.
Kurz vor 19:00 nutze ich Antons Handy und rufe Schneider Raja an. Der Groschen
fällt sofort: „Ja ja, die Sachen sind fertig. Sie können vorbei kommen!“ Ich
mache mich gleich auf den Weg und treffe eine Viertelstunde später in der
Hotelanlage ein. Freudig begrüßt mich Herr Raja und bietet mir etwas zu trinken
an. In diesen Ländern läuft das alles ganz anders. Hier ist man als Kunde
wirklich König!
Zunächst einmal geht es gar nicht um meine Einkäufe, sondern um private Dinge
und um seine bevorstehende Reise im Juli nach Deutschland. Erst dann muss ich
„arbeiten“ und meine Errungenschaften anprobieren. Sakko und Hose sitzen wie
angegossen. Kein Wunder, schließlich hat er vorher auch ausgemessen.
Auch bei den Hemden, von denen ich nur zwei probiere sowie die dunkelblaue
Jacke, die einen sehr guten Eindruck macht, passen einwandfrei, und vor allem
tragen sie sich wunderbar. Neben der immensen Preisdifferenz liegt der
Hauptunterschied in der unterschiedlichen Qualität der Stoffe. Das ist nach nur
wenigen Sekunden des Tragens sofort zu spüren. Wir plaudern noch ein wenig über
das „gut organisierte Deutschland“, wie er sich ausdrückt, erst dann macht er
sich ans Verpacken.
Währenddessen weist er mich darauf hin, dass er für alle Waren, die er von
Thailand aus per Luftfracht nach Deutschland versenden muss, die erwähnten
Preise nicht halten kann. Luftfracht ist verdammt teuer, und so gelten die
folgenden Werte als Anhaltspunkt: Anzug: 200 bis 220 Euro, Hemd: 25 bis 30
Euro, Blouson 40 bis 45 Euro. Aber selbst das ist immer noch unschlagbar
günstig.
Den Anzug darf ich in einer grauen Schutzhülle mitnehmen, als kostenlose und
hilfreiche Dreingabe. Als Bonus für meinen Einkauf legt er nicht nur eine edle
Seidenkrawatte oben drauf, sondern zwei! Stolz schleppe ich meine
Errungenschaften durch die abendliche Wärme Pattayas.
Es ist fast windstill, und dadurch fließt selbst kurz vor 20:00 der Schweiß in
Strömen.
An der Rezeption begleiche ich meine Rechnung, um morgen früh Zeit zu sparen.
Ich erhalte die freudige Nachricht, dass ich schon um 6:30 frühstücken kann und
somit kein Frühstückspaket brauche. Alles passt wunderbar. Ich verfüge noch
über etwas mehr als 700 Baht. Auf dem Zimmer lese ich in der Room Service Karte „Pommes Fritz“! Aber Rybka
schmeckt doch viel besser! Oder heißt das etwa, dass Pommes nur für Deutsche
gedacht sind?
Jedenfalls lange ich angesichts meiner Bargeldreserven noch mal richtig hin.
Neben einer thailändischen Hauptspeise ordere ich einen großen Nizzasalat. Die süße Kleine, die später wieder alles
liefert, registriert meinen großen Hunger: „Are you hungly today???“ „Yes I am!“ strahle ich zurück.
Ich lasse es mir munden und beginne danach mit dem unvermeidlichen
Kofferpacken. Diesmal fällt es mir gar nicht schwer. Erstens passt alles
mühelos in den Koffer, und zweitens freue ich mich wie selten auf die Abreise
aus diesem Urlaubsort. Nach einigen abschließenden Schachvideos knipse ich um
22:45 das Licht aus.
Freitag, 22.04.11:
Um 6:02 klingelt der Wecker. Erstaunlich munter springe ich aus den Federn. Die
letzten vorbereiteten Handgriffe sitzen perfekt. Bereits um 6:20 stehe ich mit
Sack und Pack in der Lobby. Ich habe also eine halbe Stunde Zeit zu
frühstücken, die ich auch voll auskoste. Ein letztes Mal pumpe ich mich mit
Ananas und Melonen voll, bevor der Busfahrer zum Aufbruch ruft. An der Lobby
werde ich noch ein Trinkgeld für die Zimmermädchen los. Das habe ich in der
morgendlichen Aufbruchsstimmung im Zimmer vergessen.
Reibungslos geht es in einem voll besetzten 8-Sitzer Richtung Bangkok. Zum
Glück halten alle die Klappe. Es ist wohl doch noch zu früh. Über die Stille
bin ich deshalb so froh, weil kurz vor dem Ziel ein Badenser
anfängt, eine Rheinländerin mit seinen zweifelhaften Weisheiten zuzutexten, zum Beispiel, dass er bereits das siebte Mal in
Pattaya war! Wenn der früher damit angefangen hätte… So aber erreiche ich
einigermaßen schadlos um genau 8:10 das Flughafengebäude.
Gleich nachdem ich die Halle betrete, entdecke ich schon den Air Berlin
Schalter. Sehr viel nützt das aber nicht, weil an den insgesamt sechs Schaltern
noch weit und breit niemand zu sehen ist. Kein Wunder, denn der Flieger nach
Düsseldorf hebt erst um 11:25 ab. Ohnehin muss ich erst meine restlichen 285
Baht in Euro tauschen. Ich entdecke einen Exchange-Schalter und strebe gleich
dorthin.
Die zierliche Lady reicht mir mit dem obligatorischen Lächeln einen 5 Euro
Schein, einen 50 Baht-Schein sowie eine 10 Baht- und eine 2 Baht Münze herüber
und erklärt dazu, dass sie über keinerlei Euromünzen verfügt. Deshalb erhalte
ich also wieder 62 Baht zurück. Das Geld werde ich Anton schenken, der das als
Thailand Fan in der Zukunft sicherlich noch gebrauchen kann. Ich kehre zurück
zur Check-in Warteschlange und stehe mir erst einmal zwanzig Minuten lang die
Beine in den Bauch, worüber meine Wirbelsäule überhaupt nicht erfreut ist. Eine
Sitzgelegenheit ist nicht vorhanden.
Kurz vor 9:00 erreiche ich endlich den Check-in Schalter. Mein Koffer wiegt
genau 19,6 kg. Wie gut, dass ich in weiser Voraussicht das gesamte
Schachmaterial in meine Bobby Fischer Stofftasche umgetopft habe. Das spart
bestimmt 3 kg Gewicht. Wer zahlt schon gerne 60 Euro Gebühr für Übergepäck?
Die Prozedur am Ausreiseschalter ist nicht vergleichbar mit der bei der
Einreise. Nach fünf Minuten habe ich dieses Nadelöhr passiert. Auch die
Sicherheitskontrolle ist Routine. Die Kontrolleure interessieren sich nicht
einmal für meine Kamera. So erreiche ich nach weiteren zehn Minuten das Air
Berlin Gate.
Es ist immerhin 9:20 geworden. Um 10:40 beginnt der Einstieg. Ich packe meinen
Laptop aus und aktualisiere das Tagebuch, nicht dass ich daheim so viel
aufholen muss, wenn ich wegen der Zeitumstellung taumele. Dies ist einer meiner
ganz wenigen Flüge, die wirklich auf die Minute pünktlich beginnen. Der Vogel
hebt ab, und ich labe mich ausgiebig an einer frisch
gedruckten „Süddeutschen“.
Welch ein Genuss nach diesen entbehrungsreichen Wochen. Ich lese fast die ganze
Zeitung und werde lediglich von den Saftschubserinnen
unterbrochen, die Getränke und Verpflegung reichen. Zwischendrin werde ich
richtig müde und schlafe gut eineinhalb Stunden lang. Das ist wichtig, denn der
Tag wird lang.
Nach der „Süddeutschen“ kommt „FOCUS Money“ dran. Auch dieses Heft verschlinge
ich bis auf den letzten Kurzartikel, und ehe ich mich versehe, befinden wir uns
bereits über Tschechien! „Da unten beginnt jetzt bestimmt irgendwo mindestens
ein Open“, denke ich mir. „Eigentlich könnte mich der Kapitän doch kurz
aussteigen lassen!“ Das sind die Gedanken, die mir durch den Kopf schießen. Das
zeigt, dass ich mein miserables Ergebnis in Thailand gut verarbeitet habe und
bereit für frische Taten bin. Der Kapitän denkt natürlich gar nicht daran,
wegen mir zwischenzulanden, sondern strebt weiter Richtung Düsseldorf. Bereits
gegen 18:20, rund zwanzig Minuten vor der geplanten Ankunft, setzen wir sicher
auf der Landebahn in Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt auf. Nach meiner
inneren Uhr ist es jetzt 23:20, aber von Müdigkeit ist noch nichts zu spüren.
Der erreichte Zeitgewinn bringt mir gar nichts, denn nun muss ich länger auf
den Anschlussflug nach München warten, der um 20:05 beginnen wird.
Sinnloserweise muss ich erneut durch die Sicherheitskontrolle. Also heißt es,
wieder den Gürtel abzuschnallen, den Laptop aus der Tasche zu zerren, die
Kameratasche zu öffnen, Geldbeutel, Schlüssel und weiteren Kleinkram aus den
Hosentaschen herauszuholen und sich mit dem Metalldetektor abtasten zu lassen.
Als ich meine sieben Sachen wieder verpacke und dorthin räume, wo sie
hingehören, spricht mich einer der Sicherheitsleute mit starkem französischem
Akzent an, ich solle doch mal wegen einer „Intensivkontrolle“ mit in den ersten
Stock kommen. Sehe ich so gefährlich aus? Natürlich nicht. Es ist eine der
Routinekontrollen, die die Herrschaften von Zeit zu Zeit durchführen müssen.
Die Vorschriften…
Ich hole also erneut meinen Laptop aus der Tasche und öffne die Kameratasche.
Eine Frau fährt mit einem kleinen, flachen Teil langsam über die gesamte
Tastatur des Laptops sowie über die Kamera und die beiden Objektive samt
Blitzgerät. Dann verschwindet sie zwecks Auswertung für ungefähr drei Minuten
in einem kleinen Büro. Währenddessen halte ich mit dem Franzosen Smalltalk. Er
erklärt mir, dass die Vorschrift lautet, auch bei Transitflügen eine bestimmte
Anzahl dieser intensiven Prüfungen vorzunehmen. Die Auswahl der Flüge ist
zufällig.
Bald kehrt die Kontrolleurin zurück. Wie nicht anders zu erwarten, ist alles in
Ordnung, und ich darf meinen Weg zum Abflugsgate
fortsetzen. Im Grunde ist diese Kontrolle ganz hilfreich, die Zeit bis zum
Abflug totzuschlagen. Rund zehn Minuten hat es gebracht.
Einstiegszeit ist um 19:35, also in einer halben Stunde. Obwohl ich noch
Lesestoff dabei habe, verlassen mich langsam die Kräfte. Ich starre Löcher in
die Luft und hoffe, dass sich der Uhrzeiger schneller dreht, aber diese
Strategie hat noch nie funktioniert. Die ganze Zeit wundere ich mich, dass auf
den Bildschirmen die Bundesligaergebnisse nicht erscheinen. Komisch…
Kurz nach halb acht ist es endlich so weit. Der Aufruf für unseren Vogel
erfolgt, und ich begebe mich ein letztes Mal für heute auf den Weg in einen
Flieger. Von ca. 130 Plätzen sind nur rund 40 besetzt, das heißt, es gibt
genügend Platz für alle. Inzwischen bin ich wieder etwas munterer und widme
mich meinem restlichen Lesestoff. Pünktlich um 21:20 landet die Maschine in der
Heimat – endlich!
Aber die Reise ist noch nicht beendet. Zunächst einmal heißt es, eine
Viertelstunde auf meinen Koffer zu warten. Ich zerre das Ding vom Band und
bewältige den rund siebenminütigen Weg zum S-Bahnsteig. Diesmal bin ich nicht
so dumm und stempele aus lauter Gewohnheit meine Streifenkarte ab, so wie ich
das bei der Hinreise getan habe.
Ich habe nämlich ein Rail & Fly Ticket, und somit
ist die An- und Abreise zum bzw. vom Flughafen inklusive. Ich entscheide mich,
eine weitere Viertelstunde auf die S 1 zu warten, obwohl die S 8 bereits
dasteht und wenige Minuten später abfährt. Die Route der S 1 ist für mich aber
viel sinnvoller, weil sie über Feldmoching, Moosach und Laim zur Donnersbergerbrücke führt. Die andere Strecke über den
Ostbahnhof ist viel weiter.
Um 22:35 MESZ erreiche ich die Donnersbergerbrücke.
Ich drücke auf den Türöffner, trete auf den Bahnsteig und atme erst einmal tief
durch. Diese herrlich kühle Luft! Welche Wohltat! Ich wiederhole den Vorgang und genieße ganz
bewusst das angenehme, mitteleuropäische Klima, auf dem wir so oft
ungerechtfertigter Weise herumhacken.
Vom Bahnsteig auf die Zwischenebene gibt es noch eine Rolltreppe. Dann aber
muss ich den schweren Koffer etwa 15 Stufen hinab schleppen, die Brücke auf
einem schmalen Fußweg unterqueren und in einem letzten Energieanfall auf der
anderen Seite wieder hinauf zerren. Ein Blick auf die elektronische
Anzeigetafel verrät, dass „mein“ Bus in 8 Minuten eintreffen soll. Das ist
erträglich. Nach einer weiteren halben Stunde ermüdender Busfahrt erreiche ich
um 23:15 meine Wohnung. Ich bin jetzt 22 ¼ Stunden auf den Beinen.
Ins Bett falle ich aber noch nicht. Als letzte Tat des Tages rufe ich meine
Mutter an. Nach einer halben Stunde weist sie mich darauf hin, dass heute
Freitag ist! Ich kann es kaum glauben, denn den ganzen Tag bin ich darauf
programmiert, dass wir heute Samstag haben. Jetzt verstehe ich auch, warum ich
nirgendwo die Bundesligaergebnisse ablesen konnte. Die Jungs haben noch gar nicht
gespielt!
Erschöpft, aber heilfroh, dass ich Pattaya, diesen Ort des Entsetzens, hinter
mir gelassen habe, falle ich in mein Bett. Thailand – einmal und nie wieder!
(Stefan
Winkler)