Presseberichte

Zum vierten Mal in Deizisau

Zum vierten Mal in Deizisau

Stefan Winkler erzielt 5,5 Punkte im B-Turnier des 12. Neckar-Opens

 

Erst 10 Tage vor Turnierbeginn entschied sich, dass ich nun doch nach Deizisau fahren würde. Die Verlockung war einfach zu groß. Von meiner Firma erhielt ich ein Auto zur Verfügung gestellt, mit dem ich zwischen Spielsaal in Deizisau und dem vier Kilometer entfernten Quartier in Wernau pendeln konnte. Bei dem zu erwartenden Pensum (4 Tage á 2 Runden plus abendliche Eröffnungsrunde am Gründonnerstag) war es sehr wichtig, sich mittags ein wenig hinzulegen.

 

Die Anfahrt gestaltete sich als mittlere Tortur. Schneegefüllte Wolken entluden sich in schöner Regelmäßigkeit. Schwarze Ungetüme am Himmel verdunkelten die Landschaft, eisiger Wind peitschte die Flocken über die Autobahn. Die Scheinwerfer des Gegenverkehrs blendeten unangenehm, die Scheibenwischer quietschten, durch hohes Verkehrsaufkommen auf der zweispurigen Autobahn A 8 entstanden immer wieder Staus. Die Strecke zwischen München und Augsburg ist eine einzige Baustelle. Schlussendlich erreichte ich das Ziel genau um 16:05. Ich hatte also genau drei Stunden für 217 Kilometer gebraucht, was einem mageren Schnitt von etwas mehr als 60 km/h entsprach. Alles in allem keine guten Voraussetzungen für die abendliche erste Runde.

 

In Runde 1 des B-Turniers, an dem heuer 253 Spieler teilnahmen, musste ich gegen Giugno Carmelo (1550) antreten. Gegen ihn habe ich in der 4. Runde des 9. Neckar-Opens am 25.03.05 schon einmal gespielt. In dieser Partie ließ ich in totaler Gewinnstellung ein Patt zu, woran ich mich zum Glück nicht erinnern konnte!

 

An diesem Gründonnerstag sollte es noch schlimmer kommen. Vergangen geglaubte Zeiten kehrten schneller zurück, als mir lieb war. Nach einer katastrophalen Vorstellung mit diversen Fehlgriffen warf ich gegen 23:00 das Handtuch. Zum Vergessen!

 

Die Auslosung für Runde 2 brachte mir Robert Schulz (1510) von „Dicker Turm Esslingen“. Erneut war es keine Glanzvorstellung, aber der Punkt kam schließlich doch rüber. Runde 3: Ein Abtauschfranzose. Wie ich es hasse! Wie soll man da bloß in Vorteil kommen? Regel 1: Ich musste versuchen, so schnell wie möglich ein Ungleichgewicht herzustellen. Doch beinahe wäre der Schuss nach hinten los gegangen, denn ich habe mindestens einen schlechten Zug zu viel gemacht! Mit etwas Glück und Geschick bekam ich die unmittelbaren Drohungen in den Griff und erreichte eine Stellung, die reichlich Chancen für Fehlgriffe erlaubte. Mein Gegner „nutzte“ dann auch gleich die nächste Gelegenheit und geriet mit einem einzigen Zug in eine Verluststellung. Das entstandene Endspiel behandelte ich bis auf eine Ungenauigkeit sehr ordentlich. Ein Lichtblick, auch wenn es nur gegen DWZ 1556 war. Oh weh, oh weh, mein Gegnerschnitt…

4. Runde am Samstagvormittag: Anpfiff gegen Josua Novak aus Münchingen (DWZ 1641): Nach 16 Zügen kam das erste Remisangebot, das ich natürlich ablehnte. Warum remis nach einer Stunde bei vollem Brett? Derlei Angebote werde ich nie verstehen. Unmittelbar danach fing ich an, schlecht zu spielen, was mir Qualitätsverlust samt miserabler Stellung einbrachte. Aber der Gegner hatte verdammt viel Bedenkzeit verbraucht, und ich begann wie üblich, im Nebel zu stochern. Und siehe da, auch diesmal klappte es wieder.

 

Ich gewann die Qualität zurück, lehnte das unmittelbar darauffolgende zweite Remisangebot ab, hielt die Stellung in des Gegners Zeitnot so kompliziert wie möglich und kassierte schließlich den vollen Punkt. Nach dem 34. Zug überschritt Schwarz in totaler Verluststellung die Zeit, eine Erfahrung, die ich noch nicht häufig machen durfte. Novak war ein verdammt schlechter Verlierer, denn er hielt es nicht für nötig, mir nach meiner Zeitreklamation die Hand zu reichen. Für sein langsames Spiel war nicht ich verantwortlich!

 

Am späten Vormittag tauchte unser allgegenwärtiger Kapitän der Ersten, Matthias Schäfer, auf! Durch meine relativ kurze Partie stand uns viel Zeit für die Analysen meiner bisherigen Partien zur Verfügung. Er widerlegte mir nahezu jede Fortsetzung aus meinen „Werken“. Seine Ideenvielfalt ist enorm. Es macht einfach Spaß, aus seinen Varianten Honig zu saugen!

 

Durch drei Siege in Folge hatte ich mich bis Brett 22 vorgearbeitet, wo Wolfgang Fleckenstein (DWZ 1743) mit den weißen Steinen auf mich wartete. Erneut entstand Königsindisch im Anzug, genau wie vor Wochenfrist in Erlangen in der letzten Runde. Es entwickelte sich eine unfassbar komplexe Stellung, die meine gesamten „Rechenkünste“ erforderte. Schließlich fraß einer meiner genialen Springer im 29. Zug einen Bauern zu viel, was ihn leider Gottes das Leben kostete! Am Ende war ich derjenige, der auf Zeit verlor! Vor dem 40. Zug hatte ich noch 92 Sekunden. Ich rechnete einige Varianten durch und plötzlich kam die Ansage: „Zeit!“ Huch!? So schnell können 92 Sekunden vergehen! Aber es war nicht schlimm, denn die Stellung war hoffnungslos verloren. Außerdem hatte mein Gegner ausgezeichnet gespielt und war noch dazu sympathisch. Zwischenstand nach 5 Runden: 3 Punkte. Das konnte nicht zufrieden stellen.

 

Nach langer Zeit entschied ich mich mal wieder für Wiener Partie. Der Schwarze behandelte die Eröffnung miserabel, aber ich war unfähig, dies auszunutzen. Stattdessen ließ ich mich auf eine zwar optisch gut aussehende Abwicklung ein, die aber langfristig gar nicht gut für Weiß ist. Trotz verdorbener Rochade konnte sich Schwarz konsolidieren. Als ich dann noch ersatzlos einen Zentrumsbauern einstellte, war es um mich geschehen. Diese „Null“ war ärgerlich, zeigte aber, dass ich die Stellung nicht einmal im Ansatz verstanden hatte!

 

Ostersonntagnachmittag: Ziemlich k.o. und geknickt ließ ich mich an Brett 67, im Meer der Teilnehmer, nieder. Mein Gegner eröffnete mit 1. e4 und ich dachte mir noch: „Alles, bloß keine Französisch-Abtauschvariante!“ Was kam im 3. Zug: Natürlich 3. exd5! Zum Davonlaufen! Gut, da musste ich also durch. 3…exd5; 4. Ld3, c5. Spätestens nach 5. De2+?! hatte ich wieder Mut gefasst. Aber im 20. Zug veropferte ich mich und sah mich plötzlich in einer Verluststellung wieder. Ich hatte einen simplen Zwischenzug übersehen, der mich zwei Bauern kostete!

 

Wie ich dennoch zum Sieg in dieser Partie kam, grenzt an eine Unverschämtheit! Nach dem 37. Zug von Weiß war folgende Stellung entstanden: Weiß: Roland Klitscher (Herzogenrath, DWZ: 1606): Kg1, Tf1, a2, b2, c3, e6, h3; Schwarz: Winkler (DWZ: 1808): Kg7, Lg5, a7, b7, g6, h7. Wie konnte ich den Weißen in dieser Stellung noch „betrügen“? Aus eigener Kraft ging das nicht, also musste ich hoffen, dass er das mit meiner Unterstützung selbst besorgt. Und siehe da, manchmal geschehen tatsächlich noch Wunder. Es folgte 37…b5 mit der Verlockung für Weiß, sich einen weiteren, völlig unwichtigen Bauern einzuverleiben. 38. Tf7+, Kg8 und jetzt 39. Txa7??? BINGO! Geht doch! Innerlich strahlend führte ich ganz ruhig den Zug 39…Le3+ aus. Die Gier des Menschen ist unermesslich!

 

Am Abend war ich mit den Kräften am Ende. Bis auf wenige Ausnahmen musste ich über die volle Distanz gehen. Gutes, warmes Essen war wichtiger denn je. Also machte ich mich auf zu meinem Stammasiaten, den ich am 2. Tag in der Nähe unseres Quartiers entdeckt hatte. Brav und solide, wie ich bin, bettete ich mein müdes Haupt zeitig, um den letzten Tag schadlos zu überstehen.

 

Am Morgen erwartete mich erneut ein professioneller Remisanbieter. Diese Spezies tritt an Schlusstagen von Turnieren in Rudeln auf! Nach 13 Zügen war es erstmals so weit: „Remis?“ „Was soll ich dann bis 14:30 machen?“ „Sie können sich die Altstadt von Esslingen anschauen!“ Ich brachte noch ein gequältes „Na ja“ hervor. Versuch Nr. 2 ließ nicht lange auf sich warten. Beim 20. Zug war es so weit: „Ich biete noch mal remis an!“ Diesmal spielte ich schweigend weiter. Leider verfiel ich in meinen alten Fehler, die Stellung zu überziehen, brachte ein schlechtes Bauernopfer und stand auf einmal äußerst kritisch. Dazu litt ich unter brennenden Augen und Kopfschmerzen. Beste Voraussetzungen, um eine weitere Null zu produzieren.

 

Aber ich mobilisierte noch mal alle Kräfte und brach in verzweifelter Stellung einen Schwerfigurenangriff vom Zaun, der mir die Punkteteilung durch Dauerschach einbrachte. Wie die Analyse zeigte, hätte ich sogar durch ein Turmopfer gewinnen können. Ich hatte diese Zugfolge auch gesehen, konnte jedoch die ganzen Varianten nicht exakt berechnen und ließ es deshalb bleiben. Dieses Remis war schlussendlich leistungsgerecht. Ich weiß jetzt zwar nicht, wie die Altstadt Esslingens aussieht, habe aber eine spannende Kampfpartie gespielt!

 

Mein Gegner aus der Schlussrunde musste vormittags äußerst unglücklich verloren haben, denn er schaute mir bei der Begrüßung weder in die Augen noch gab er mir die Hand! Bulgarische Anwandlungen also! Im Gegensatz zu Nigel Short beschwerte ich mich nicht bei der Turnierleitung, sondern begann ganz ruhig mit meinem bewährten Damengambitaufbau. Weiß zog schnell und für das System unpassend. Rasch hatte ich einen Mehrbauern samt ausgezeichneter Stellung, so dass das Remisangebot, das im 12. Zug kam, einer Frechheit gleichkam. Danach schien es fast so, als ob er mit Absicht verlieren wolle, was mir allerdings egal war. Ich knockte ihn mit Dame und Springer aus und setzte mit dem 21. Zug auf f4 (!) matt! Nach einer guten Stunde war alles vorbei.

 

Das Endergebnis lautete also: 5,5 Punkte aus 9. Schnell noch zum Asiaten, um Kraft für die Heimfahrt zu tanken und dann ab Richtung München. Auch in diesem Jahr war Deizisau ein Ereignis. Allein die schiere Masse von Teilnehmern – heuer waren es 626 Spieler in drei Opens - ist beeindruckend. Hinzu kamen noch 107 Jugendliche in 6 Altersklassen beim Kinder- und Jugendopen. Seit Kurzem veranstaltet „Macher“ Sven Noppes auch noch ein Herbstopen über Allerheiligen. Der Mann ist offenbar nicht ausgelastet! Ich kann nur jedem von uns empfehlen, auch mal diese unvergleichliche Atmosphäre zu erleben. Wenigstens ein Mal im Leben Deizisau – das muss sein!

(Stefan Winkler)