Presseberichte

Ein Erfolg aus heiterem Himmel

Ein Erfolg aus heiterem Himmel

Stefan Winkler belegt 11. Platz bei WE-Open in Erlangen/Dr. Rainer Pappenheim 20.

 

Eine lange Durststrecke ohne Open wurde endlich beendet. Bereits im Februar machte ich mir Gedanken über die Turnierplanung 2008. Immerzu ohne Schach – das konnte so nicht weiter gehen! Allein wollte ich aber nicht fahren, und so griff ich zum Hörer, um Rainer, mit dem ich schon so manches Hotelbett geteilt habe, zu aktivieren. Zu meiner eigenen Überraschung zeigte er sich sehr interessiert, und nach Rücksprache mit seiner Frau und der acht Monate alten Tochter kam kurz darauf die Zusage!

 

Also machten wir uns am 14.03. auf den Weg ins schöne Frankenland zum kleinen, aber feinen Wochenend-Open in Erlangen-Eltersdorf. Zwei Jahre zuvor hatten wir schon einmal in derselben Besetzung teilgenommen und waren von der Atmosphäre und den Bedingungen sehr angetan. Das so genannte BSGW-Open (Betriebs- Schachsport-Gemeinschaft-Wöhrlhaus Erlangen) fand bereits zum 26. Mal statt und kann somit auf eine erstaunliche Tradition zurück blicken.

 

Anfahrt, einchecken, Anmeldung im sieben Gehminuten entfernten Turniersaal – alles lief routiniert wie am Schnürchen ab. Diesmal fanden insgesamt 115 Schachjünger den Weg an die Bretter. Genau um 19:33 konnte die Turnierleitung die Uhren zur 1. Runde freigeben. Ein rekordverdächtiger Beginn, der von einer langjährigen Erfahrung der Verantwortlichen zeugt. Schließlich war die Eröffnung auf 19:30 angesetzt, und welche Probleme gerade vor der 1. Runde auftauchen können, ist uns allen wohlbekannt.

 

Spielberechtigt beim BSGW-Open sind grundsätzlich nur Spieler mit einer DWZ unter 2100. Das ist die Philosophie der Veranstalter, die damit auch Schachfreunden mit niedriger DWZ eine Chance auf Geldpreise ermöglichen wollen. In dieses Konzept passt auch der nach jeder Runde vergebene Sonderpreis von 30,- Euro für den „überraschendsten Sieg“, d. h., für einen Sieg des DWZ-Schwächeren in der Paarung größter DWZ-Differenz.

 

Für Rainer war dieses Turnier noch wichtiger als für mich, hat er doch außer einigen wenigen Mannschaftskampfeinsätzen überhaupt keine Spielpraxis vorzuweisen. Berufliches und vor allem die Geburt seiner Tochter im Juli vergangenen Jahres überstrahlte verständlicher Weise alles! An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an seine Frau Manja, die an diesem Wochenende großzügig auf ihren Rainer verzichtete!

 

Wie wichtig Spielpraxis ist, zeigte sich gleich in der ersten Runde, als sich Rainer (DWZ 2022) gegen einen Spieler mit DWZ 1662 äußerst schwer tat und erst im Endspiel dank gütiger Mithilfe seines Kontrahenten zum vollen Punkt kam. Mein erster Zähler gegen eine Frau mit DWZ 1314 war nicht weiter erwähnenswert.

 

Bei einem derart gedrängten Programm ist eine solide Lebensweise Pflicht. Also betteten wir unsere müden Häupter nach getaner Arbeit zeitig, um für den Samstag mit zwei Runden gut gewappnet zu sein. Rainer bekam es als Schwarzer mit einem Schachfreund aus Erlangen (1846) zu tun und konnte erneut keinen Vorteil erzielen. Remis also. Ich musste gegen Thomas Niedermeier vom Schachclub Ilmmünster ran, immerhin mit 1982 gelistet und an Platz 20 gesetzt. In ausgeglichener Stellung leistete ich mir eine Unachtsamkeit und geriet in ernsthaften Nachteil. Zum Glück fand ich einen guten Zug, der Verwicklungen im entstandenen Endspiel herbei führte und meinem Gegner Gelegenheit bot, fehl zu greifen. Statt einen zweiten Bauern zu gewinnen, opferte er seinen Springer und übersah dabei, dass ich diesen ersatzlos kassiere. Aber selbst danach wäre die Partie remis gewesen, denn es wäre nicht zu verhindern gewesen, dass mein letzter Bauer getauscht wird. Aus unerfindlichen Gründen packte Niedermeier die Brechstange aus und wollte sogar noch gewinnen! Dieses Vorhaben schlug fehl, und so sackte ich gerne den ganzen Punkt ein!

 

Nachmittags musste sich Rainer mit einem weiteren Achtzehnhunderter herumschlagen (1822). Sauber erspielte er sich eine schöne Gewinnstellung, indem er seinem Gegner irreparable schwarzfeldrige Schwächen zufügte. Doch als es an die Exekution ging, griff er fehl. Statt ihm in wenigen Zügen den Knockout zu verpassen, stellte er einzügig die Qualität ein! So kannte ich Rainer bislang nicht! Das Ganze erinnerte eher an eine Partie von mir! Mein treuer Openbegleiter war restlos bedient.

 

Da war es auch kein Trost, dass ich in meiner Partie gegen den späteren Turniersieger Daniel Kirch vom FSV Großenseebach, DWZ 1913, einen Damenfang, den ich angestrebt hatte, im entscheidenden Moment aus unerfindlichen Gründen nicht durchführte und stattdessen sinnlos einen Springer opferte. Ich muss aber zugeben, dass die Gewinnführung nach der Dameneroberung äußerst schwer geworden wäre. Immerhin hätte der Gegner Turm, Springer und Bauer für die Dame erhalten.

 

Sonntag früh, 6:45: Handypiepsen! Rundenbeginn war um 8:00. Eine wahrlich unchristliche Zeit, aber schließlich waren wir nicht zum Vergnügen dort!

 

Der Vormittag bot das übliche Bild. Rainer quälte sich fast über die volle Distanz gegen DWZ 1694 herum und hatte nach völlig missratener Eröffnung das Glück, dass der Gegner das Endspiel nicht einmal ansatzweise verstand und konsequent auf Verlust spielte! Es ist Rainer hoch anzurechnen, dass er sich nicht aus der Ruhe bringen ließ, das Endspiel richtig einschätzte, geduldig abwartete und im richtigen Moment seine überlegene Technik einsetzte!

 

Meine Wenigkeit bekam mit Weiß gegen 1998 einen Tarrasch-Franzosen aufs Brett. Im Mittelspiel zeigte der DWZ-Stärkere erstaunliche taktische Schwächen und büßte simpel einen Bauern ein. Sieben Züge später übersah er einen weiteren Zug von mir, und in der Zeitnotphase stellte er in relativ übersichtlicher Stellung gar einen Turm zum Wegnehmen hin! Dieses Beispiel zeigte einmal mehr, dass man die DWZ-Zahlen nicht allzu ernst nehmen sollte. Ich hatte schon diverse 1600er als Gegner, die deutlich stärker spielten als dieser Fast-2000er!

 

Nach dem Mittagessen kehrten wir beide müde und abgeschlafft an die Bretter zurück. Im Grunde waren wir jetzt schon reif für die Heimfahrt, aber uns stand ab 14:00 unausweichlich die Schlussrunde bevor. Rainer kam mit Weiß gegen einen gewissen Tjark Trienekens aus Korbach in Nordhessen (1793), während ich mit Schwarz gegen Viatcheslav Minor (1925), vermutlich ein russischer Spätaussiedler, anzutreten hatte.

 

Rainer konnte erneut keinen Vorteil herausspielen und alles sah nach einem remis aus. Aber manchmal wiederholt sich Geschichte eben doch. Mit bewundernswerter Geduld knetete er am Gegner herum und siehe da, auch diesmal gab sein Gegenüber rechtzeitig Milch! Davon bekam ich allerdings nichts mit, denn in einer dramatischen Partie mit allen Höhen und Tiefen schlug ich meinen Kontrahenten in Zeitnot mit mehreren taktischen Keulen nieder (siehe kommentierte Partie)!

 

Schlussendlich hatte Rainer mit 3,5 aus 5 doch noch ein akzeptables Ergebnis erzielt, auch wenn er damit nicht recht zufrieden schien. Über meine eigene Zufriedenheit gab es bei 4 aus 5 überhaupt keine Diskussion! Ich erzielte mit dem 11. Platz eines meiner besten Open-Ergebnisse und verbesserte meine DWZ auf einen Schlag um 46 auf 1854 Punkte!

 

Es passte ins positive Bild des Turniers, dass die Turnierleitung bereit war, mir meinen Geldpreis, den ich definitiv gewonnen hatte, in Form eines Verrechnungsschecks per Post zuzuschicken, denn Rainer zog es unwiderstehlich heim zu Weib und Kind! In diesem Moment war noch nicht klar, mit wie vielen Punktgleichen ich den Preis teilen musste. Entschieden war nur, dass mir der Ratingpreis in Höhe von 50,- für den besten Teilnehmer zwischen 1800 und 1900 trotz der hervorragenden 4 aus 5 entgangen war. Frank Drescher, DWZ 1822, derjenige Spieler, der gegen Rainer aus einer glasklaren Verluststellung heraus den vollen Punkt eingefahren hatte, wies in der Endabrechnung einen halben Buchholzpunkt mehr auf!

 

Dies tat aber der allgemein guten Stimmung keinen Abbruch. Wir verabschiedeten uns von den Verantwortlichen und traten beschwingt die Heimreise an. Wir kommen gerne wieder! Zwei Tage später traf bereits der Scheck ein: Der Lohn der Arbeit betrug 42,85 Euro. Immerhin…

(Stefan Winkler)