Presseberichte

In der Einöde Sachsen-Anhalts

In der Einöde Sachsen-Anhalts

RAMADA Cup 6³ in Halle/258 Teilnehmer in 6 Gruppen

 

„Höre ich RAMADA, denke ich an die Deutsche Amateurmeisterschaft!“ Im Jahr 2001 wurde diese Turnierserie unter dem Namen „RAMADA-Treff Cup 5³“ erstmals durchgeführt. In fünf Vorrundenturnieren an fünf verschiedenen Orten qualifizierten sich in fünf Spielstärkeklassen jeweils fünf Spieler für das Finalturnier in Leipzig, dem Gründungsort des Deutschen Schachbundes. Und wie viel Runden werden an einem solchen Wochenende gespielt? Natürlich fünf…

 

Die Deutsche Amateurmeisterschaft war als einmalige Jubiläumsveranstaltung anlässlich der Gründung des DSB am 18. Juli 1877 geplant, übertraf aber binnen Kurzem alle Erwartungen. Die Teilnehmerzahlen stiegen rasant an, was nicht selten zu erheblichem Gedränge in den Hotels führte. Hinzu kam, dass Organisation und Turnierleitung vorbildlich waren. Das sprach sich schnell herum. Auch das Format stimmt. Jeweils zwei Runden am Freitag und Samstag und die Abschlussrunde am Sonntag. Da braucht man maximal einen Tag Urlaub. Dazu eine Hotelkette als Titelsponsor, die Übernachtungen und Speisen zu moderaten Preisen anbietet.

 

Die Höhe des Startgeldes ist fair (30,-), und kann bei rechtzeitiger Anmeldung sogar noch um 5,- reduziert werden. Melden sich sechs oder mehr Spieler eines Vereins an, reduziert sich das Startgeld ebenfalls um je 5,-. Spieler, die zu Beginn der Serie für fünf Turniere melden und ihr Startgeld an den DSB überweisen, sind für das sechste Turnier startgeldfrei. All diese Punkte führten dazu, dass Anmeldestopps ausgesprochen werden mussten, weil die Aufnahmekapazitäten der Hotelräume einfach erschöpft waren.

 

Nach dem völlig unerwarteten Erfolg entschlossen sich die Verantwortlichen kurzerhand, die Serie einfach fortzusetzen und eine Dauereinrichtung daraus zu machen. Neue Austragungsorte kamen hinzu, andere fielen weg, und wieder andere blieben bis heute erhalten, z. B. Aalen oder Brühl bei Köln.

 

Vom 24.-26.11.06 startete die nunmehr sechste Serie des RAMADA Cups im sächsisch-anhaltinischen Halle an der Saale. Aufgrund des riesigen Zuspruchs – in Halle fanden sich insgesamt 258 Schachjünger ein - wurde der Modus angepasst. Ab sofort werden nicht mehr fünf, sondern sechs Vorrundenturniere veranstaltet. Demzufolge gibt es nun eine sechste Spielstärkegruppe, und jeweils sechs Spieler qualifizieren sich für das Finalturnier, das vom 31.05.-02.06.2007 im hessischen Bad Soden ausgetragen werden wird.

 

Nach einer längeren Pause entschloss ich mich, mal wieder an einem solchen Vorrundenturnier teilzunehmen, zumal ich mich bei einer ehemaligen Freundin einquartieren konnte, die in Halle beheimatet ist. Auf in den Osten!

 

Die Schwierigkeiten begannen schon daheim, als ich mich per Telefon und Internet erkundigte, wie mit öffentlichen Verkehrsmitteln am besten von meinem Quartier zum Hotel zu gelangen sei. Schon da ahnte ich nichts Gutes. Ich habe noch nie ein Hotel erlebt, das derart schlecht zu erreichen ist. Es ist mir ein Rätsel, wie das Management seinerzeit die Entscheidung treffen konnte, das Hotel just an diesem Ort zu bauen! Es liegt deutlich außerhalb eines riesigen Gewerbegebietes und Einkaufszentrums am Rande von Halle und kann nur über eine schmale, einspurige Straße erreicht werden. Vom Stadtzentrum fährt halbstündlich ein Bus (abends und am Wochenende stündlich) in die geschilderte Einöde. Die Fahrt dauert eine knappe halbe Stunde und führt über Stock und Stein und Kopfsteinpflaster aus längst vergessen geglaubten Zeiten. Von der Endhaltestelle bis zum Hotel musste ich einen strammen Fußmarsch von knapp 15 Minuten hinlegen. Der letzte Bus fährt um 20:00 zurück in die Stadt. Einen einsamen Rekord stellte ich am Samstagabend auf: Für eine Luftlinie von genau 8,2 Kilometern benötigte ich inklusive Warten stolze 123 Minuten! Dieses Hotel sollte man definitiv nur mit dem Auto anfahren!

 

Nun aber endlich zum Schach: Wie bei meinen bisherigen Teilnahmen, war ich auch diesmal mit meiner zwischenzeitlich bedenklich geschrumpften DWZ von 1704 in die Gruppe C eingeteilt worden (1900-1701). Mein Ziel waren 3,5 Punkte mit gleichzeitiger Teilsanierung meiner Zahl.

 

In meiner 1322. Turnierpartie beschäftigte ich mich zunächst weder mit meiner DWZ noch mit einem konkreten schachlichen Problem. Vielmehr musste ich mich mit der neuen Bedenkzeitregelung auseinandersetzen, die in Halle erstmals angewendet wurde. Diese lautet: 90 Minuten + 30 Sekunden pro Zug für 40 Züge, danach 15 Minuten + 30 Sekunden pro Zug bis zum Schluss der Partie. Das sind exakt 20 Minuten zusätzlich zu den 90 bis zum 40. Zug, also 110 Minuten zuzüglich der Restbedenkzeit, die nicht exakt angegeben werden kann, da sie von der Anzahl der Züge abhängt, die man macht. In etwa lässt sich die Gesamtspieldauer mit der vertrauten Regelung 2 Stunden für 40 Züge plus 30 Minuten für den Rest der Partie vergleichen.

 

Die Befürworter dieser neuen FIDE-Bedenkzeit (MODE 12 auf unseren neuen Silver Uhren) argumentieren, dass man damit nicht mehr über die Zeit gehoben werden kann. Mich kann dieses Argument allerdings überhaupt nicht überzeugen. Noch nie stand ich während einem Turnier derart unter Dauerdruck. Da man ständig nur die verrinnenden 90 Minuten auf der Uhr sieht, sind es auch nur „gefühlte“ 90 Minuten und nicht die tatsächlichen 110. Hat man dann unter größter nervlicher Anspannung die Zeitkontrolle geschafft, bleibt keine Sekunde zum Verschnaufen, denn sofort steht man wieder unter Starkstrom. Es verbleiben gerade mal 15 Minuten für den Rest der Partie. Wie viele Minuten hinzukommen werden, weiß man nicht, denn das hängt ja von der Anzahl der Züge ab, die danach ausgeführt werden.

 

Da gehe ich lieber das äußerst geringe Risiko ein, dass mich mal jemand mit unsinnigen Gewinnversuchen bei knapper Zeit traktiert, als dass ich mein Nervenkostüm unnötig strapaziere. Nach diesem Wochenende war ich nervlich tatsächlich völlig fertig. Das war richtig unangenehmer, zermürbender Stress! Zudem kann man es sich endgültig abschminken, jemals wieder ein schönes Endspiel zu spielen. Es bleibt einfach keine Zeit dafür. Es geht nur noch ums ziehen! Selbst unter Berücksichtigung der fehlenden Erfahrung im Umgang mit dieser neuen Regelung ist das für mich ein ernsthafter Grund, mit dem Turnierschach aufzuhören! Es bleibt also zu hoffen, dass sich dieser Modus nicht in der Breite durchsetzen wird.

 

Es war allerdings nicht dem Bedenkzeitmodus, sondern meiner katastrophalen Technik zuzuschreiben, dass ich meinen Gegner in der ersten Runde noch von der Schippe springen ließ. Wie so oft überspielte ich auch diesmal meinen Kontrahenten in der Eröffnung und im Mittelspiel. Aber wenn es um die Verwertung meiner Vorteile geht, ist es meistens aus und vorbei. Wenigstens blieb mir diesmal noch ein halber Punkt. Ein sehr bitterer Auftakt, der sich wie eine Niederlage anfühlte. Und kaputt war ich auch. Es verblieb mir vor der Runde um 16:00 nicht mal mehr Zeit, um in Ruhe etwas zu essen.

 

Albert Metzger, ein streng dreinschauender Mittfünfziger, setzte mich mit fast blitzartigem Spiel zusätzlich unter Druck. Selbst in äußerst schwieriger Stellung bei vollem Brett, als tiefes Rechnen angesagt gewesen wäre, zog er oftmals á tempo. Zudem versuchte ich mich am „Königsindischen Angriff“, den ich noch nie zuvor auf dem Brett hatte. Ich sah schon meine Felle davonschwimmen, als er im 35. Zug doch noch für seine unnötige Hast bestraft wurde. Er ließ ohne Not ein Springeropfer zu, das allerdings etwas versteckt und somit nicht leicht zu sehen war. Obwohl ich auch diesmal in der Verwertungsphase nicht exakt spielte, reichte es doch, um den vollen Zähler einzufahren.

 

Runde 3 am nächsten Morgen bescherte mir Schwarz und erneut ein Slawisches Damengambit. Ich saß gut erholt und mit frisch durchgepusteter Lunge am Brett. Kein Wunder, denn um nicht allzu viel Zeit zu verlieren, musste ich von der Bushaltestelle (Ankunft um 8:57) bis zum Hotel einen Dauerlauf hinlegen. Schließlich fehlten mir 8 Minuten auf der Uhr, aber andernfalls hätte ich um 6:00 morgens aufstehen müssen, um bequem in das Hotel zu gelangen.

 

Die Partie spielte sich wie von selbst. Erstmals kam ich mit der Bedenkzeit klar. Es lief alles wie am Schnürchen. Gut gefrühstückt, klarer Plan vor Augen, und der Gegner in Schwierigkeiten. Im 24. Zug setzte ich den Schlussakkord mit einem Scheinspringeropfer: 0:1! Ich hatte Kraft gespart und jede Menge Zeit zum Mittagessen sowie Schmökern am inzwischen aufgebauten Schachbuchstand. Die Aussichten waren schön: 2,5/3 und am Nachmittag Weiß!

 

Ich erhielt den Zweiten der Setzliste (DWZ 1897), der mich mit einem ganz merkwürdigen Pirc-Aufbau konfrontierte (4…Da5). Bis zu meinem ersten ernsthaften Fehler im 28. Zug stand ich ausgezeichnet, aber danach spielte er technisch sehr sauber weiter und brachte mich mehr und mehr in Bedrängnis. Ich war nicht mehr in der Lage, mich zu befreien. Wie tags zuvor spielte ich fast bis zum Anschlag. Am Ende hatte ich noch 2 Minuten und 53 Sekunden auf der Uhr und stand ohne Zählbares da. Bittere Sache!

 

Das Los meinte es nicht gut mit mir. Am Sonntagmorgen sah ich mich einem 14-jährigen Jugendlichen aus Chemnitz gegenüber, der unmittelbar vor Partiebeginn von seinem Vater mit den Worten: „So, und jetzt konzentrier’ Dich noch mal richtig!“ heiß gemacht wurde. Außerdem lehrt die Erfahrung, dass viele Jugendliche deutlich stärker spielen, als ihre DWZ es aussagt. Dieses Exemplar war mit 1753 ausgestattet. Das konnte ja heiter werden!

 

Es entwickelte sich eine hochkomplexe Stellung, in der ich mit Ach und Krach das Gleichgewicht halten konnte. Die Eröffnung hatte ich diesmal ziemlich unrund gespielt, so dass es ein wahrer Balanceakt war, nicht schon früh in erheblichen Nachteil zu geraten. Unter hoher Anspannung ging es auch zum Abschluss über die volle Distanz. Wir waren mit die letzten, die sich noch abmühten, als im Turniersaal schon fleißig abgeräumt wurde. Es entstand ein Turmendspiel mit Minusbauern für mich (1 gegen 2 Bauern), in dem ich an einer Stelle gute Remischancen hätte erhalten können. Ich begriff die Stellung aber nicht und ließ diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen. Die Umsetzung des Materialvorteils war für meinen Gegner nicht leicht zu bewerkstelligen. Schließlich kam dann aber doch sein d-Bauer, der erst im 56. Zug von d2 nach d3 voran schritt, in Bewegung und marschierte nach einigen feinen Turmmanövern unaufhaltsam zur Dame.

 

Im ersten Moment war ich natürlich sehr enttäuscht. Zwischenstand von 2,5/3 versaut, letzte Runde verloren, der Akku absolut leer und eine siebenstündige Heimreise per Zug vor Augen. Ich kam aber recht schnell zu der Erkenntnis, dass ich mich nicht grämen sollte, denn die Qualität meiner Partien war doch recht ordentlich. Ich spielte so ziemlich am oberen Limit, und noch dazu mit dieser ungewohnten wie ungeliebten Bedenkzeit. Berücksichtigt man diese Faktoren, so muss ich einfach mit dem 13. Platz unter 38 Teilnehmern zufrieden sein. Hätte ich die letzte Partie gewonnen, wäre ich geteilter Sechster und damit für das Finale vom 31.5.-2.6.07 in Bad Soden qualifiziert gewesen. Aber wir kennen ja die Herren „Hättich“ und „Wennich“…

 

Positiver Aspekt am Ende: Der Vater meines Letztrundengegners fuhr mich auf Anfrage mit dem Auto zum Hauptbahnhof ins Zentrum. Am Sonntag gab es nämlich überhaupt keine Busverbindung zum und vom Hotel! Das führt mich unweigerlich zu der Schlussfrage, wie der Deutsche Schachbund auf die Idee kommt, ausgerechnet in diesem Hotel Turniere zu veranstalten. www.ramada-cup.de

 

(Stefan Winkler)